Ausflug ins Weserstadion

Oleee-oleo-leoleeee! Zwar waren die Ränge unbesetzt, und es spielte auch niemand auf dem Rasen (der gerade erneuert wurde), als die Beschäftigten der ArBiS in das Innerste des Weserstadions eintraten, aber alle konnten sich die vollen Tribünen und die Fangesänge vorstellen. Ein Abenteuer, einmal auf Werders Rasen zu stehen! Für mindestens zwei der Ausgeflogenen, echte Vollblut-Fans, erfüllte sich damit ein Traum.

Alle paar Jahre denkt sich die ArBiS ein besonderes Ziel für die Beschäftigten aus, und diesmal, im Jahr der EM 2024, ging es ins Weserstadion. Aus den fünf Werkstätten – “Holz und Ideen”, Bäckerei, “Garten und Kunst”, Hauswirtschaft sowie Tagesstätte Nord – kamen 55 Menschen zusammen, die sich von zwei kundigen “Werderanern” durchs Stadion und hinter die Kulissen führen ließen. Backstage erkundeten sie die Logen, die Gäste-Kabine (mit Jacuzzi), den Presseraum und die Kantine, wo es Würstchen und Pommes für alle gab. Historische Momente in Werders Geschichte hängen in Großformaten an den Wänden, ein Gang zeigt die lange Reihe der Werder-Trikots von Jahr zu Jahr und spiegelt die Entwicklung der Mode. Spannend auch der Blick ins Museum mit den Memorabilien entscheidender Momente, Höhepunkte und Krisen in Werders Geschichte.

“Sehr schön” und “interessant” war am Ende aus der Gruppe zu vernehmen. Zwei von ihnen – waschechte Grün-Weiß-Fans – schwebten im siebten Fußballhimmel. Da hatte sich die ArBiS echt was Gutes ausgedacht.

Weser-Kurier interviewt Beschäftigte

Die Medien reden seit Tagen davon: Das Bremer Jobcenter hat kein Geld mehr für neue Qualifizierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen, das Jahresbudget ist so gut wie ausgegeben. Unternehmen wie die Sozialwerks-Tochter ArBiS, die diese Maßnahmen anbieten, können ihren Beschäftigten keine Fortsetzung nach dem 31.7. mehr anbieten.

Während die Politik und das Jobcenter selbst nach den Ursachen suchen, wie dieser Fall eintreten konnte, wie eine solche Fehlplanung oder Misswirtschaft passieren konnte, wollte der Weser-Kurier hören, was denn die direkt Betroffenen dazu sagen. Was bedeutet der Wegfall ihrer “Arbeitsgelegenheit” (so die Fachsprache) für die Menschen?

Eine Journalistin und eine Fotografin besuchten die Werkstatt “Holz und Ideen” in Gröpelingen, wo Beschäftigte aller Werkstätten der ArBiS zusammenkamen, um ihrer Enttäuschung und ihrem Frust Luft zu machen. Über ein Drittel der hier Beschäftigten stecken in solch einer Maßnahme, die nun wegfällt.

Was die Runde der anwesenden und überwiegend weiblichen Beschäftigten zu sagen hatte, anfangs zurückhaltend, dann zunehmend mutig und sich gegenseitig bestärkend, berührte die Zuhörenden sehr und offenbarte die ganze Bandbreite an Schicksalen und Widrigkeiten, die Menschen begegnen und aus der Bahn werfen können.

So hat hier eine schwerbehinderte Witwe vor 2 1/2 Jahren wieder Fuß gefasst, sie fühlt sich gesehen und respektiert, kann die stärkende Erfahrung machen, etwas Sinnvolles zu leisten. Die meisten Frauen berichten Ähnliches, Todesfälle und Krankheiten, sie reden über ihre Depressionen, manche über Suizidgedanken, und alle sind sich einig, dass die Beschäftigung ihnen Halt gibt. Sie strukturiert den sonst so grauen Alltag und lässt das Selbstwertgefühl wieder wachsen. Hier will niemand zu Hause bleiben, sie fürchten alle die Isolation, wollen teilhaben an der Gesellschaft, etwas leisten, Sinnvolles tun, gebraucht werden.

Für einige Beschäftigte waren die Werkstätten der ArBiS ein Sprungbrett in den ersten Arbeitsmarkt. Auch das ist möglich, manchmal gelingt der Weg zurück in einen ganz normalen Job. Es kommt so sehr darauf an, in einer schweren Krise Unterstützung und Hilfe zu finden, die stärkt und Selbstvertrauen gibt. An diesen Bruchstellen entscheidet sich , ob jemand aus der Kurve fliegt oder sein Leben doch noch die Kurve kriegt.

Die Beschäftigten hoffen, dass es doch noch eine rettende Lösung seitens der Politik geben wird. Es steht viel auf dem Spiel.

Die Journalistin staunt über die vielen selbst hergestellten Deko-Elemente in der Werkstatt.

Die Journalistin staunt über die vielen selbst hergestellten Deko-Elemente in der Werkstatt.

 

Arbeit in der Keksbäckerei

Arbeit in der Keksbäckerei

Alles spricht für eine Wiederholung!

Am 14.03.2024 war es endlich soweit. Der Tag, an dem sich die Türen der ArBiS-Werkstätten für Besucher:innen öffnen, war da! Im Vorfeld wurde geplant, Produkte erschaffen, geputzt, umgeräumt, Werbung gemacht, gebacken, Kaffee gekocht, geschmückt und vieles mehr. Und alle waren mindestens ein kleines bisschen nervös, denn dies war der erste Tag der offenen Tür seit Corona und alle daher etwas aus der Übung. Auch stellte sich die Frage, kommt überhaupt jemand?

Das Wetter war auf unserer Seite: Sonnenschein pur und sogar schön warm. Es kamen auch viele Besucher:innen und gefuttert wurde auch ausreichend.  Selbstredend gab es Kaffee und Wasser zu kaufen. Dazu wurden Muffins, Kekse, Butter- und Apfelkuchen angeboten. Für die, die was Herzhaftes bevorzugten, gab es Minipizzen. Alles sind Produkte aus der ArBiS-Bäckerei und waren lecker wie eh und je.

Nicht alle Bereiche der ArBiS befinden sich am Standort „Schwarzer Weg“.  Daher haben sich die „Werkstatt Garten und Kunst“ aus Grambke sowie die „Tagesstätte Nord“ aus Vegesack auf den Weg gemacht, um sich und ihre Produkte mittels eines Standes zu repräsentieren. Auch die Ergopraxis hatte ihren Beitrag mittels eines Parcours geleistet.

Die Besucher:innen waren natürlich auch neugierig, wie es so hinter den Kulissen aussieht. Wann hat man schon mal die Möglichkeit, z.B. eine Bäckerei live und in Farbe zu erleben? Es waren zwei Führungen durch die „Werkstatt Holz und Ideen“ sowie die „Bäckerei“ geplant. Aufgrund des hohen Andrangs und des großen Interesses wurden dann letztlich spontan drei Führungen absolviert.

Am Ende des Tages meinte eine Beschäftigte der Werkstätten, welche äußerst tatkräftig beim Verkauf mitgeholfen hatte: „Boah, bin ich erschöpft – aber positiv erschöpft.“ Ja, dem konnten wir uns alle anschließen.

Fazit: alles spricht für eine Wiederholung! Eine Fortsetzung folgt im Spätsommer/Herbst 2024. Haltet Augen und Ohren offen, wir werden den Termin rechtzeitig bekannt geben.

Viele Grüße

Euer ArBiS-Team

 

Weihnachten im Schuhkarton

Andrea und Burkhard Orlovsky feiern ihr 25-jähriges Engagement für die Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“. „Silberhochzeit“, sagt sie lachend. Doch jetzt ist Schluss. Sie verkaufen ihr Haus und verkleinern sich. Das Bremer Paar betreute seit 1998 mit großer Hingabe das Projekt, das zu Weihnachten Geschenke an Kinder verteilt, deren Weihnachtsfest nicht durch eine Fülle von Gaben, sondern durch Entbehrung und Not geprägt ist.

In ihrer Garage lagerten zeitweise bis zu 1000 Kartons mit liebevoll gepackten Geschenkkartons, bevor sie dann an eines der vier Zentrallager in Deutschland gebracht wurden.

Seit 1993 gibt es „Weihnachten im Schuhkarton“, die Aktion der Hilfsorganisation „Samaritan’s Purse e.V.“ Weltweit  werden jedes Jahr Millionen bedürftiger Kinder in über 160 Ländern und Regionen beschenkt. Die Päckchen aus dem deutschsprachigen Raum gehen meistens an osteuropäische Länder.

Bei der Aktion wird durch die Spender:innen ein Schuhkarton mit Geschenkpapier beklebt und mit kleinen Geschenken gefüllt: Spielzeug, Hygieneartikel, Schulsachen und Kleidung. Ein Flyer informiert über die zollrechtlich zulässigen Dinge, die eingepackt werden dürfen. Zum Schluss wird der Karton mit dem Deckel und einem Gummiband verschlossen, aber nicht zugeklebt, denn Andrea Orlovsky öffnet jeden Karton und prüft ihn auf Zulässigkeit und Vollständigkeit, korrigiert oder ergänzt den Inhalt entsprechend. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Zoll macht es inzwischen möglich, dass sie anschließend die Kartons fest verschließen darf und der Zoll zur Kontrolle nur noch Stichproben macht und einzelne Kartons öffnet. Ein Aufkleber, der dem Flyer entnommen werden kann, wird auf den Karton aufgeklebt und informiert, ob das Geschenk für einen Jungen oder ein Mädchen gedacht ist und für welche Altersgruppe.

Von der Tagesstätte Nord bekommen die Orlovskys seit vielen Jahren handgefertigte Strickwaren und andere Sachspenden, mit denen sie die gespendeten Kartons komplettieren können. Auch in diesem Jahr ist wieder ein ganzer Tisch voller Gaben zusammengekommen. Anlässlich ihres Abschieds zeigten die beiden den Gästen der offenen Einrichtung für psychische beeinträchtigte Menschen in Vegesack Dias und Filmsequenzen ihrer Reise nach Weißrussland im Jahr 2018. Die Gäste waren bewegt von der Armut im Land und der Freude in den Augen der Empfangenden vor Ort. Auf einigen der Bilder entdeckten sie ihre selbstgestrickten Socken, Mützen und Schals und freuten sich über die gelungenen Überraschungen zum Weihnachtsfest.

Andrea Orlovsky berichtete von der guten Organisation der Verteilung im Empfängerland. Die christlichen Gemeinden mit ihrem gut funktionierenden Netzwerk seien eine unverzichtbare Hilfe bei der Verteilung. Teils würden die Geschenke an die Kinder verteilt, die sich im Gemeindehaus einfinden. Aber die Reisegruppe, der sich die Orlovskys angeschlossen hatten, besuchte auch Familien zu Hause und bekam Einblicke in die große Not alleinerziehender Elternteile, behinderter Kinder oder von Suchtstrukturen geschädigter Familien.

„Wie kann ich mithelfen?“, ist wohl die meistgestellte Frage an Andrea Orlovsky, wenn sie die Arbeit in Schulen, Seniorenheimen oder anderen Einrichtungen vorstellt und für die Geschenkaktion wirbt. Und für diese Frage ist sie gewappnet: „Selber ein Paket packen, ein gepacktes Geschenk kaufen, sich zusammentun und ein Geschenk packen, beim Packen helfen oder Geschenke transportieren.“ Viele haben sich von den Orlovskys begeistern lassen. Und so lassen auch die Zahlen der letzten Aktion sich sehen: 10 Millionen Pakete wurden weltweit gepackt und ausgeliefert, 291.554 Pakete davon im deutschsprachigen Raum. Aus Bremen kamen dabei knapp 2000 Stück, aus Bremen-Nord 472.

Gepackt werden kann das ganze Jahr, eingesammelt werden die Geschenke in den ersten beiden November-Wochen. Infos über die Aktion und über die nächste Sammelstelle gibt es unter: www.weihnachten-im-schuhkarton.org

 

Party auf der Arche Noah

Haus Noah ist nach der biblischen Arche Noah benannt. Als die große Flut kam, fanden Noah und seine Familie in dem großen Schiff Zuflucht und Rettung. Ähnlich bedroht, wie seinerzeit die Menschen des alten Testamentes sind heutzutage viele Menschen, die durch Alkohol und andere Süchte in eine lebensbedrohliche Situation geraten. Das Wasser steht ihnen bis zum Hals und sie können sich selbst nicht mehr retten. In der Einrichtung für alkohol- und mehrfach abhängige Menschen finden sie Struktur und Unterstützung, um ein neues, nüchternes und cleanes Leben zu führen. Diese Einrichtung in Grambke gibt es seit 25 Jahren. Grund genug zum Feiern.

Ehemalige und aktuelle Nutzerinnen und Nutzer der Einrichtung feierten gemeinsam mit Betreuenden und Gästen am 8. September im Bauernhaus den Geburtstag der Einrichtung. Hierfür hatte die Werkstatt Holz und Ideen eigens eine Bühne in  Form einer Arche mit darüber schwebendem Regenbogen gebaut. Die Werkstatt Garten und Kunst hatte kunst- und phantasievolle Dekoration für den Festsaal gefertigt. Der ehemalige Bäckermeister der ArBiS-Bäckerei hatte eine Torte in Form einer Arche mit vielen liebevoll und lustig gestalteten Details angefertigt.

Nicole Nullmeyer, Leiterin des Bereiches Seelische Gesundheit im Sozialwerk, begrüßte die Gäste, die von maritimer Musik des „Bremer Handörgler“ in den Saal des Bauernhauses gelockt worden waren. Nach einer kurzen Andacht von Pastor Uli Schulte gab es in der Arche einen Rückblick auf die Gründungszeit von Haus Noah durch Silvia Hilbers, aktuelle Leiterin des Hauses, und Anneliese Lindemann, ehemalige Leiterin der Einrichtung.

Nun kamen die Nutzerinnen und Nutzer zu Wort. Nicole Nullmeyer und Lara-Kristin Wawrowski, Mitarbeiterin in Haus Noah, kamen in lockerer Runde mit drei Nutzerinnen und Nutzern ins Gespräch. Diese erzählten offen und nachvollziehbar ihren Weg in die Einrichtung und wie sich ihr Leben dort verändert hat und aktuell gestaltet.

Nach einem musikalischen Zwischenspiel und alkoholfreien Cocktails von „Jim’s Bar“ vor den Türen des Bauernhauses, interviewte Einrichtungsleiterin Beate Rettig aktuelle Nutzerinnen und Nutzer zu der Wandlung, die das Leben in Haus Noah mit sich gebracht hat und befragte sie nach ihren Wünschen und Hoffnungen für die Zukunft. Auch Fragen aus dem Publikum stellten sich die Interviewten offen und ehrlich.

Spontan meldeten sich noch Ortsamtsleiter Florian Boehlke und der Diakon der benachbarten evangelischen Kirchengemeinde Grambke und Suchtbeauftragter der Evangelischen Kirche Bremen zu Wort und übermittelten wertschätzende Grußworte zum Jubiläum.

Beim anschließenden, maritimen Essen aus der Sozialwerks-Küche gab es viel Gelegenheit zum Austausch. Wer mochte, konnte noch an einer Führung durch Haus Noah durch jeweils eine Nutzerin oder einen Nutzer sowie einem Mitarbeitenden der Einrichtung teilnehmen.

Am nächsten Tag wurde das Jubiläum mit dem Arche-Noah-Stand im Rahmen des Sommerfestes am Grambke See „Ganz Grambke geht baden“ gefeiert. Eine interne Feier mit allen Nutzenden der Einrichtung folgte in der darauf folgenden Woche. Eine rundum gelungene Veranstaltung und angemessene Würdigung, fanden alle Beteiligten.


Eine phantasievolle Torte zum Jubiläum


Die Bremer Handörgler


Pastor Uli Schulte


Ortsamtsleiter Florian Boehlke
im Gespräch mit Nicole Dalewski


Girlande mit guten Wünschen zum Jubiläum


Diakon Herbert Hinze (ev. Kirchengemeinde Grambke)


Gefeiert wurde im Bauernhaus in Grambke

Zurück in eine bessere Zukunft

Jubiläum Haus Noah, Teil 2

Patricia Birkenfeld und Andrea Sperling: Der lange Kampf aus der Alkoholsucht

Bremen. „Es war wie ein Schlag in die Magengrube.“ Patricia Birkenfeld erinnert sich noch genau an den Tag, als ihr Leben die möglicherweise entscheidende Wendung nahm. Die gebürtige Rotenburgerin hatte gerade einen ihrer fast 4o Entzüge hinter sich, als der Leiter der Entgiftungsstation des Krankenhauses die 53-Jährige zur Seite nahm. „Er hat mir klar gemacht, dass ich, wenn ich jetzt nach Hause zurückkehre, nicht mehr lange zu leben habe, erzählt Patricia Birkenfeld.  Die deutliche Ansage des Arztes wirkte wie ein Wachmacher. „Ich habe sofort den Sozialdienst angesprochen. Dann ging alles ganz schnell. Gerade einmal drei Tage dauerte es, dann wusste Patricia Birkenfeld: Ich muss nicht mehr nach Hause. Auf sie wartete ein Appartement in Haus Noah. „Dass ich vom Krankenhaus direkt nach Grambke konnte, hat mir das Leben gerettet“, sagt Patricia Birkenfeld und ergänzt, „ ich bin stolz darüber, dass ich das so gemacht habe.“

Das ist jetzt mehr als fünf Jahre her. Am 14. Mai 2018 zog sie in den Ellerbuschort 15. Hinter ihr lag da bereits eine zwei Jahrzehnte währende Alkoholkarriere. Zwei Schicksalsschläge hatten Patricia Birkenfeld aus der Bahn geworfen. 1997 war ihre Mutter, gerade 46 Jahre alt, an Krebs verstorben, ein Jahr später hatte ihr Bruder Selbstmord begangen. „ Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen.” 2002 landete die Mutter von zwei Kindern erstmals im Krankenhaus, der Beginn der  Abwärtsspirale. Patricia Birkenfeld verlor den Kontakt zu ihren Kindern, 2014 verstarb zudem ihr langjähriger Partner.

Heute, nach fünf Jahren in “Haus Noah” hat Patricia Birkenfeld wieder festen Boden unter den Füßen. Auch wenn sie gerade eine seelische Talsohle durchleben muss – eine neue Partnerschaft ist in die Brüche gegangen – hat sie die Lebensfreude zurückgewonnen, schaut positiv in die Zukunft. In der Heimstätte „Am Oslebshauser Park“  arbeitet sie vier Tage in der Woche für einige Stunden in der Hauswirtschaft. Zudem engagiert sie sich im Bewohner-Beirat von “Haus Noah” und einmal in der Woche geht sie zur Selbsthilfegruppe „Freundeskreis“. Glücklich macht Patricia Birkenfeld aber vor allem, dass sie wieder Kontakt zu ihren Kindern und den zwei Enkeln hat. Dennoch möchte sie ihren Aufenthalt in Haus Noah gern um ein weiteres Jahr verlängern. „Eigentlich müsste ich im September ausziehen, aber durch die Trennung von meinem neuen Partner habe ich gemerkt, dass ich noch nicht stabil genug bin, alleine zu leben.“ Jetzt wartet sie darauf, dass der Kostenträger, das Amt für soziale Dienste, ihr ein weiteres Jahr in Grambke bewilligt.

Beate Rettig, die Leiterin von “Haus Noah”, sieht dafür gute Chancen. Dennoch glaubt auch sie, dass Patricia Birkenfeld den Sprung zurück in ein selbstständiges Leben schaffen kann. „Beim Auszug bleibt ihr ihr Arbeitsplatz erhalten und auch die Selbsthilfegruppe wäre eine ganz große Stütze“, sagt Beate Rettig. „Das sind Leute, die sie stabilisieren. Sie  helfen und unterstützen sich gegenseitig und greifen auch ein, um Leben zu retten. Das sind Kontrolle und Druck gleichermaßen.“

Andrea Sperling ist froh, in Patricia Birkenfeld eine Freundin gefunden zu haben. Die 59-Jährige hat erst im Januar dieses  Jahres in “Haus Noah” eine neue Bleibe gefunden. Doch richtig angekommen ist sie in Grambke noch nicht. „Ich habe schon einmal von 2019 bis Mai 2021 in “Haus Abraham”, einer weiteren Einrichtung des Sozialwerks, gewohnt.“ Dort ist Andrea Sperling aber wieder ausgezogen, da sie von einem männlichen Mitbewohner psychisch wie physisch bedrängt worden war.  „Ich habe mir dann wieder eine eigene Wohnung gesucht, obwohl ich eigentlich gerne dort geblieben wäre.“  Ein fataler Schritt mit dem zu erwartenden Resultat: ein neuerlicher Rückfall.  Obwohl Andrea Sperling wusste, dass sie ohne Hilfe so nicht weiterleben konnte, zögerte sie dennoch, das Angebot in „Haus Noah“ einzuziehen, anzunehmen. Die negativen Erlebnisse  in der Schwestereinrichtung Haus Abraham hatten ihre Spuren hinterlassen. Doch schließlich überwand sie sich. „Es war der richtige Schritt“, sagt sie heute.

Auch Andrea Sperlings Leben ist geprägt von jahrzehntelangem Alkoholmissbrauch. 1992 lernte sie ihren späteren Mann kennen, zog zu ihm nach Bremerhaven und kümmerte sich fortan um den Haushalt. „Mein Mann hatte schon zwei Kinder, zwei und vier Jahre alt. Dazu lebte noch der Großvater mit im Haus. Zwei Jahre später kam unsere gemeinsame Tochter zur Welt.“ Die junge Frau kümmerte sich von Anfang an um alles, doch das war für sie allein zu viel. Eine Unterstützung durch ihren Mann erfuhr sie nicht. „Die Belastung wurde einfach zu groß. So fing ich an zu trinken, zuerst mit einem Bier am Tage.“ Der Beginn der Abwärtsspirale auch bei Andrea Sperling.

Der Kauf eines Reihenhauses änderte daran genauso wenig, wie später der Auszug der mittlerweile erwachsenen Stiefkinder. „Das Trinken wurde immer schlimmer“, erinnert sich die gebürtige Bremerin. Doch noch fataler für sie: „Meinem Mann war alles egal, er hat sich um nichts gekümmert. Er saß nur vor dem Computer, war richtig süchtig danach. 2009 landete Andrea Sperling wieder in der Klinik Reinkenheide,  die nächste Entzugsbehandlung folgte, sie wog nur noch 38 Kilo. Danach zog sie zum ersten Mal die Reißleine. „Ich habe die Ehe beendet.“ Sie bezog mit ihrer eigenen Tochter eine kleine Wohnung. „Wir machten uns das richtig nett, es ging uns gut.“ Dieses kleine Glück währte nur kurz. Doch eines Tages verkündete ihre Tochter, sie werde zu ihrem Vater ziehen. „Da bin ich in ein tiefes Loch gefallen.“  Es folgten wieder Alkohol-Exzesse, Entzugsbehandlungen.

Doch Aufgeben war für Andrea Sperling keine Option. „Ich wollte in einer betreuten Einrichtung unterkommen, das war mein Wunsch.“  Unterstützung fand sie in einer Lehrerin ihrer Tochter, der sie sich schon früh anvertraut hatte. So kam die 59-jährige schließlich auf die Einrichtungen des Sozialwerks der Freien Christengemeinde: erst in „Haus Abraham“, danach in „Haus Noah“.

Ebenso wie Patricia Birkenfeld arbeitet Andrea Sperling aktuell in der Hauswirtschaft in Oslebshausen und genauso wie die neue Freundin findet Andrea Sperling zusätzlichen Halt in einer Selbsthilfegruppe bei den Guttemplern. Zudem hat sie den Kontakt zur Psychologin  in „Haus Noah“ gefunden. „Ich will lernen, meine Sucht zu begreifen.“ Sie will endlich raus aus dieser Endlos-Schleife.

Ein Wiedersehen mit der eigenen Tochter hat es für Andrea Sperling immer noch nicht gegeben, immerhin hält die ältere Stieftochter den Kontakt zu ihr aufrecht. Aber da hält es Andrea Sperling ähnlich wie ihre Freundin Patricia Birkenfeld: „Ich muss jetzt an mich denken.“  An eine Rückkehr in ein selbstverantwortliches Leben verschwendet Andrea Sperling noch keinen Gedanken.

Michael Thurm

Eine Vision wird Realität

25 Jahre „Haus Noah“ – ein Leuchtturmprojekt in der Suchtkrankenhilfe für Bremen

Der Tag ist noch jung. Doch die Sonne strahlt prächtig vom fast wolkenlosen Himmel, die blauen Balkone des mehrgeschossigen Hauses Ellerbuschort 15 glänzen im hellen Tageslicht. Ein selten schöner Morgen in diesem feuchten Sommer 2023. Einige Bewohner des Hauses genießen bereits die wärmende Sonne. Freundlich nicken sie den Passanten zu.

„Rentner, die haben es gut“, mag so mancher beim Vorbeigehen denken. Tatsächlich wirkt dieses Gebäude auf den ersten Blick wie ein ganz normales Wohnhaus – mit Menschen, die sich an diesem Morgen womöglich vom stressigen Alltag erholen. Menschen, die womöglich ihren Ruhestand auskosten, unabhängig von Zeit und Raum. 

Doch das Idyll täuscht. Die Frauen und Männer, die auf den Balkonen  von „Haus Noah“ – so prangt es auf großen Lettern über der Eingangstür – die Sonne genießen, sind zuvor durch die Hölle gegangen. Ihr Leben war aus den Fugen, in eine Schieflage geraten. Der Alkohol hatte die Macht über ihr Leben gewonnen, beherrschte ihren Alltag. Jetzt kämpfen sie in „Haus Noah“ tagtäglich um ihre letzte Chance, zurück in ein trockenes und möglichst selbstbestimmtes Leben zu finden.

Im März 1998 eröffnete das Sozialwerk der Freien Christengemeinde „Haus Noah“ als Fördereinrichtung für Menschen mit schwerer Alkoholerkrankung. Die meisten leiden an dem sogenannten Korsakow-Syndrom. Es ist heute kaum vorstellbar, dass „Haus Noah“ damals die erste Einrichtung dieser Art in Bremen war. Doch bis in die 90iger-Jahre galten Korsakow-Patienten als „nicht mehr therapierbar und nur noch dauernd zu verwahren“. Ihren Lebensabend verbrachten sie in der Regel in psychiatrischen Krankenhäusern oder verschwanden irgendwo in Altenheimen. „Satt, sauber und trocken“, lautete damals die Devise.

Heinz Bonkowski, Mitbegründer und damaliger Leiter des Sozialwerks, erinnert sich noch gut an die Zeit. „Wir hatten 1982 die Heimstätte am Grambker See eröffnet und dort auch suchtkranke Menschen aufgenommen. „Dass wir das gut machen, hatte sich bis zur Psychiatrie in Bremen-Ost herum gesprochen. Außerdem wollte dort niemand mehr Menschen aus Bremen in Kleinstgruppen nach Niedersachsen abschieben.“

Heinz Bonkowski hatte 1979 zusammen mit der Freien Christengemeinde das Sozialwerk gegründet. Seine Vision: hilfsbedürftige Menschen annehmen, wie sie sind, und ihnen einen wertvollen Platz in der Gesellschaft geben. Die Eröffnung von „Haus Noah“ war da nur logisch. In dem ehemaligen Hotel Bollmann, im Ellerbuschort 15, fanden Heinz Bonkowski und sein kongenialer Partner Armin Hein („Ich hatte die Visionen und Armin war das Finanzgenie“) den idealen Ort. „In dem Haus brachten wir zuvor schon Spätaussiedler und jüdische Zuwanderer aus Russland unter.“ Nach einer umfassenden Renovierung wurde „Haus Noah“ im März 1998 eröffnet. Vier Wochen später waren die 24 Appartements belegt.

Angesichts der Schicksale dieser Menschen von einer Erfolgsgeschichte zu sprechen klingt für mache Ohren sicherlich makaber – und doch ist das „Haus Noah“ eine Erfolgsstory. Keine weiß dies besser als die Leiterin der Einrichtung, Beate Rettig. Die 63-jährige Diplom-Sozialpädagogin gehört seit 2002 zum neunköpfigen Noah-Team und löste 2004 Anneliese Lindemann als Leiterin ab. „Menschen, die durch die die „Rund-um-die-Uhr-Arbeit“ zurückfinden in den eigenverantwortlichen Alltag, sind Belohnung für die aufzehrende aufopferungsvolle Tätigkeit.“  Auch nach mehr als zwei Dekaden ist Beate Rettig von ihrer Arbeit fasziniert.  „Ich habe in all den Jahren so viele besondere Menschen kennengelernt – Menschen, die mich fasziniert haben. Wenn sich diese Menschen öffnen, dann sind das ganz große Schätze.“

Doch bis sich diese Menschen öffnen, ist es oft ein sehr, sehr langer Weg. Und nicht immer endet dieser Weg zurück in der Normalität. „Die Menschen, die ins Haus Noah einziehen, sind die Stärksten“, sagt Beate Rettig. Diese Menschen kämpfen, haben sich noch nicht aufgegeben, suchen Hilfe. Wer ins Haus Noah kommt, hat alles verloren – den Arbeitsplatz, die Wohnung, meistens den Kontakt zu Partnern, zu den Kindern. Letzte Ausfahrt Grambke!

Deshalb ärgert Beate Rettig eines ganz besonders: die Stigmatisierung der alkoholsüchtigen Menschen. „Die sind weder doof noch dumm, sie sind krank – und wir müssen ihnen helfen.“

 „Satt, sauber, trocken“ ist ein Betreuungsziel aus längst vergangenen Tagen. Heute werden Korsakow-Patienten individuell oder in Kleingruppen begleitet und gefördert.  Wesentliche Bestandteile der Arbeit sind von Anfang an ein alkoholfreies Haus, eine geregelte Tages- und Wochenstruktur mit Arbeitszeiten, Ruhepausen und gemeinsamen Freizeitaktivitäten. Dazu gehören auch lebenspraktische Fähigkeiten wie etwa Einkäufe oder Busfahrten. „Durch den jahrzehntelangen Alkoholmissbrauch sind bestimmte Zellen und Bereiche des Gehirns zerstört worden. Darunter leidet insbesondere das Kurzzeitgedächtnis“, erzählt Beate Rettig. Worte, Belehrungen und Erklärungen nutzen wenig, weil sie schnell vergessen werden. Hauptsächlich  durch eigenes Tun und Handeln lernen die Bewohner – die laut Bundesteilhabegesetz eigentlich politisch korrekt Nutzer: innen genannt werden müssen. Unterstützt werden sie dabei durch tägliche therapeutische Anleitung und ergo-therapeutische Übungen.  Die meisten Bewohner leider unter einer Co-Morbidität. Sie sind nicht nur alkoholkrank, sondern leiden beispielsweise auch unter Depressionen, Angst- und Panikstörungen, Essstörungen, Persönlichkeitsstörungen; dazu kommen körperliche Erkrankungen. 

„Anschaffen, konsumieren, ausschlafen“ – so prägnant beschreibt Beate Rettig den Alltag eines schwerstalkoholkranken Menschen. Die Wohnung aufräumen, Essen kochen, gar Kontakte pflegen – nichts von alledem ist diesen Frauen und Männern noch möglich. Deshalb geht die Einrichtungsleiterin in den Vorstellungsgesprächen auch nicht auf die Verweildauer ein.  Wenn es gut laufe, können einige nach drei bis vier Jahren in „Haus Noah“ in eine eigene Wohnung zurückkehren. Wer gezielt danach fragt, der bekommt eine Antwort. Eine Antwort, die die meisten Betroffenen zunächst einmal erschrickt. „So lange …“

Doch wenn die Frauen und Männer wieder in den verschiedenen Werkstätten des Sozialwerks arbeiten, sie ihre tief vergrabenen Talente freilegen und sie ihr Selbstwertgefühl wiedergefunden haben und bereit sind, Kontakte zu ihren Angehörigen aufzunehmen, sind sie in „Haus Noah“ endgültig angekommen.

Nicht ohne Grund hatten die Gründerväter dem Domizil im Ellerbuschort den Namen Noah gegeben. „Viele wissen nur, dass Noah etwas Gutes getan hat, aber Noah war auch ein Säufer“, sagt Heinz Bonkowski. Noah baute nicht nur die Arche, sondern legte neben Feldern auch einen Weinberg an – und wie es im Buch Mose beschrieben ist, sprach der dem Rebensaft auch ordentlich zu. Doch die Bibel berichtet auch vom würdevollen Umgang der Söhne Sem, Ham und Jafet mit dem betrunkenen Vater. Die Brüder halfen ihrem Vater, wie „Haus Noah“ alkoholkranken Menschen hilft – seit einem Vierteljahrhundert.

Michael Thurm

Wege aus der Sucht

Suchtkrankenhilfe für Mitarbeitende im Sozialwerk, in der ArBiS und der Privatschule Mentor

Seit August dieses Jahres ist Simone Vogt, Mitarbeiterin der ArBiS im Bereich der Arbeitsförderung, für das Sozialwerk nebenberuflich als betriebliche Suchtkrankenhelferin tätig. Die Vereinbarung gilt zunächst für ein Jahr mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von zwei Stunden.

Betriebliche Suchtkrankenhelfende haben sich in vielen Betrieben bewährt. Sie stellen eine hilfreiche und niedrigschwellige Anlaufstelle dar, und zwar sowohl für betroffene Mitarbeitende als auch für Leitungs- und Führungskräfte. Für Betroffene ist die Kontaktaufnahme zu einer Kollegin, einem Kollegen, oft einfacher als die Kontaktaufnahme zu einer externen Stelle, da sie niederschwelliger und kurzfristiger erfolgen kann. Für Führungs- und Leitungskräfte ist es hilfreich, dass die interne Ansprechperson kurzfristig greifbar ist.

Private Probleme und Umstände sind in vielen Fällen die Auslöser für eine Suchterkrankung. Allerdings kann auch das berufliche Umfeld in eine Sucht führen. Gründe, die dies fördern können, sind z. B. hoher Druck, lange Arbeitszeiten und wenig Erholungsphasen oder soziale Problematiken wie Mobbing.

Simone Vogt hat im letzten Jahr am Lehrgang „betriebliche Suchtkrankenhilfe“, angeboten durch die Bremische Landesstelle für Suchtfragen (BreLS), teilgenommen. Selbst betroffen von einer Suchterkrankung, bringt sie neben ihrer Fachkompetenz somit auch eine Betroffenenkompetenz mit, die im Umgang mit betroffenen Mitarbeitenden und auch mit Mitarbeitenden, die Angehörige von Suchtkranken sind, eine wertvolle Unterstützung sein kann. Persönliche Erfahrungen können mit Betroffenen geteilt werden und das eigene Beispiel für eine gelungene Bewältigung der Suchterkrankung kann zu einer Veränderungsbereitschaft motivieren.

Simone Vogt

  • informiert und berät in vertraulichen Gesprächen betroffene Mitarbeitende bzw. Mitarbeitende, die Angehörige sind.
  • unterstützt Leitungs- und Führungskräfte sowie Teams fachlich in Form von Beratung und Information zum Umgang mit auffälligen Mitarbeitenden.
  • informiert in regelmäßigen Blog-Beiträgen über verschiedene Aspekte von Sucht, insbesondere zum Thema Suchtprävention.
  • unterstützt bei der Organisation von Schulungen zum Thema Sucht für Leitungs- und Führungskräfte.
  • unterstützt die Führungs- und Leitungsebene bei der Umsetzung des Sucht-Stufenplans.
  • ist vernetzt mit den Bremer Suchtberater:innen und nimmt an den regelmäßig stattfindenden Netzwerktreffen teil.

Als interne Ansprechpartnerin für Suchtfragen bietet sie Unterstützung, Beratung und Information für alle Beteiligten an. Suchtmittelgebrauch oder Suchtverhalten am Arbeitsplatz sind sensible Themen, die nicht vermieden, sondern aktiv und frühzeitig angegangen werden müssen, um einer Verfestigung oder Verstärkung der Problematik vorbeugen zu können.

In vertraulichen Gesprächen können Wege zur Hilfe aufgezeigt und Betroffene bestärkt werden, diese Wege auch zu gehen. Die Hoffnung, das Problem werde sich schon von allein lösen, erfüllt sich meistens nicht.

Kontakt:
Simone Vogt
Schwarzer Weg 92
28239 Bremen-Gröpelingen
Telefon: 0421/6190-187
E-Mail: s.vogt@arbis-bremen.de

ArBiS Bremen Pfeifenfest

Mit einer Pfeife geehrt

Sie gehen auf Wanderschaft – um die Welt zu sehen, um zu lernen und um „den Meister zu machen“. In vielen Handwerksberufen gibt es die Wanderjahre eines Gesellen, doch im Zimmerhandwerk sind sie am bekanntesten. Die jungen Männer, mit einer auffälligen „Kluft“ gekleidet, über der Schulter einen Stab, den Stenz, mit einem Bündel, dem Charlottenburger, daran, in dem all ihr Hab und Gut verstaut ist, wandern von Ort zu Ort, weltweit, um durch ehrliches Handwerk ihr tägliches Brot und eine Unterkunft zu verdienen. Seit vielen Generationen gibt es diese Tradition. Mit ihren Bräuchen und Regeln des „Tippelns“ muten an wie aus einer anderen, längst vergangenen Zeit.

Hans arbeitet seit Sommer 2022 in der Holzwerkstatt der ArBiS. In einer feierlichen Zeremonie wurden er und elf seiner Mitbrüder des Roland-Schachtes – so heißt die Bruderschaft, der er angehört – mit der Pfeife geehrt. Zimmerleute, die die drei Wanderjahre absolviert und weitere drei Jahre einheimisch gewesen (also nach Hause zurückgekehrt sind), sind dafür qualifiziert, eine Pfeife zu erhalten. Aus diesem Anlass kamen am 1. April 2023 84 Rolandsbrüder auf seinen Hof im Blockland und es gab ein großes Fest mit insgesamt 120 Menschen. „Das Fest war sehr emotional. Es ist eine große Ehre, die Pfeife zu bekommen“, erzählt Hans. „Das Wiedersehen mit den Rolandsbrüdern und die gemeinsame Feier bei mir zu Hause – das war mega schön.“

Hans hat seine Ausbildung bei der Firma Cordes in Walle gemacht. Anschließend ging er zum Zivildienst nach Cuxhaven. Er verrichtete dort Hausmeistertätigkeiten und beherbergte auch einmal einen wandernden Gesellen. Es waren wohl diese beiden Aspekte – zum ersten Mal von zu Hause weg und den wandernden Gesellen zu erleben – , die ihn auf den Gedanken brachten, selbst auf Wanderschaft zu gehen. Wer auf Wanderschaft gehen will, so erfuhr er, muss schuldenfrei und nicht vorbestraft sein, er sollte unter 27 Jahre alt sein und einen Gesellenbrief vorweisen können, muss ledig und kinderlos sein. Mit diesen Voraussetzungen sollte der wandernde Geselle seine Wanderschaft beginnen und beenden. Hans suchte und fand einen “Export-Gesellen”, der ihn mit sich nahm, um ihn in die Wanderschaft einzuführen. „Ich gehe aber nach Norwegen“, wandte dieser ein. Hans war es recht. Es war dann in Oslo soweit, dass seine Aspirantenzeit (Probezeit) mit dem „Ehrenwort“ endete und er „erwandert“ wurde. Das Ehrenwort ist eine feierliche Zeremonie im Beisein anderer Mitglieder der Bruderschaft, bei der der junge wandernde Geselle verspricht, nun seine drei Wanderjahre zu absolvieren.

Für die Wanderjahre gelten feste Regeln. Der Geselle trägt die Kluft seines Gewerkes und die Ehrbarkeit seiner Bruderschaft. Die Kluften unterscheiden sich nach Zugehörigkeit zu den verschiedenen Gewerken. Die Ehrbarkeit, die Krawatte, zeigt die Zugehörigkeit zur Bruderschaft. Bei Hans waren es die schwarze Hose, schwarze Weste und schwarze Jacke des Zimmermann-Handwerkes und die blaue Ehrbarkeit des Roland-Schachtes. Die Weste hat acht Knöpfe, die für acht Stunden täglicher Arbeit stehen. Die Jacke hat sechs Knöpfe als Zeichen für die Sechs-Tage-Woche. An den Ärmeln gibt es nochmals drei Knöpfe für die drei Lehrjahre an dem einen Arm und drei Knöpfe und für die drei Wanderjahre des Gesellen  am anderen Arm. Das Reisen sollte weitgehend ohne Geld geschehen. Die Gesellen reisen also zu Fuß oder per Anhalter. Handys sind auf der Reise nicht erlaubt. Kommt ein Geselle in eine Ortschaft oder Stadt, wendet er sich an den Bürgermeister und bittet mit einem wohlformulierten Gedicht um einen Stempel in sein Wanderbuch. Das Wanderbuch hat die Funktion eines Ausweises. Darin sammelt der Geselle die Arbeitszeugnisse seiner Arbeitgeber und die Stempel der Bürgermeister als Nachweis seiner Wandertätigkeit. Das Wanderbuch stellte den Gesellen von der (damals geltenden) Wehrpflicht frei. Hans erinnert sich, dass ihm beim Vorsprechen vor den Bürgermeistern Unterstützung nie verwehrt wurde. Die Rolandsbrüder gelten als ehrbare Handwerker und ihre Wanderschaft wird weitgehend gewürdigt. Unterwegs suchen die wandernden Gesellen Bäcker, Metzger oder Wirtschaften auf. Auch hier heißt es „Gott zum Gruß, werte Bäckerin, …“ Der nun folgende Vers ist entwaffnend demütig, gleichsam unterhaltsam, faszinierend und eine Legitimation, dass es sich um einen rechtschaffenen Handwerker und nicht um einen Landstreicher handelt. Nach dem so vorgetragenen Gruß wird den hungrigen Wandernden oft ein reiches Mahl serviert. Selbst bei McDonalds wurde Hans mit Nahrung versorgt.

Die Erlebnisse und Anekdoten würden mindestens ein Buch füllen. Für Hans sind die Erinnerungen, Erfahrungen und Überzeugungen, die er aus der Zeit des Wanderns mitgenommen hat, von unschätzbarem Wert. Und die Verbundenheit mit seinen Rolandsbrüdern bleibt. Seit Sommer 2022 ist Hans Mitarbeiter in der Werkstatt der ArBiS. “Die Arbeit mit den Beschäftigten macht mir viel Freude. Ich habe das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun und bringe mich mit dem, was ich kann, gern hier ein. Das Miteinander hier in der Werkstatt ist so, wie ich gern arbeiten möchte.”

Johannes Weyhausen-Brinkmann arbeitet als Schreiner in einer der ArBiS-Werkstätten.

ArBiS Pfeife

Die Pfeife ehrt  heimgekehrte Gesellen, die ihre Wanderschaft erfolgreich absolviert haben.

 

Glücksmomente

Adelheid Brüning ist langjährige Besucherin der Tagesstätte Nord und Nutzerin der Angebote für Malerei in der „Galerie“. Derzeit werden einige ihrer Acryl-Bilder in der Ausstellung „Glücksmomente“ ausgestellt. Es sind Blumen und Landschaften, die die Künstlerin auf klein- bis mittelformatigen Leinwänden malt. Sie lässt sich inspirieren von dem was sie sieht und was ihr begegnet – hier ein Zeitungsausschnitt, dort ein Urlaubseindruck oder eine Erinnerung. Die 70-jährige, gelernte Schaufensterdekorateurin malt seit über vierzig Jahren. „Malerei ist meine Leidenschaft“, bekennt sie. Ihre persönliche Geschichte ist eng verknüpft mit der offenen Einrichtung für Menschen mit psychischen Einschränkungen. Adelheid Brüning war von Anfang an Teilnehmerin der Galerie der Tagesstätte. „Der damalige Leiter der Tagesstätte hat sich von mir anstecken lassen mit der Malerei und gründete für die Tagesstätte die Galerie. Hier habe ich dann mit der Acrylmalerei begonnen.“

Für Birgit Neske, Kunsttherapeutin in der Tagesstätte Nord, hat diese Ausstellung eine besondere Bedeutung. „Für mich schließt sich hier ein Kreis“, so Birgit Neske. „Meine Arbeit in der Tagesstätte begann und endet mit einer Ausstellung.“ Die Freunde an den schönen Bildern der „Glücksmomente“-Ausstellung ist ihr anzusehen. Birgit Neske verlässt nach über zwanzig Jahren ihren Wirkungsort, den sie entscheidend geprägt und gestaltet hat. Wir sind ihr dankbar für ihren unermüdlichen Einsatz und ihre große Kreativität und wünschen ihr alles Gute für ihre Zukunft sowie weiterhin viele Glücksmomente.


Adelheid Brüning zeigt ihre Ausstellung “Glücksmomente”.


Kunsttherapeutin Birgit Neske




Impressionen der Ausstellung