Zwei Schüler und eine Schülerin: Drei von der Mentor ganz groß

Kurz vor den Sommerferien ereignete sich am Grambker Sportparksee ein dramatischer Badeunfall, bei dem drei Kinder zwischen fünf und acht Jahren fast ums Leben gekommen wären.
Alle drei waren bereits leblos und reanimationspflichtig, als sie von Allessandro, Matti und Lotta (der großen Schwester von Matti) aus dem Wasser geborgen wurden. Es war Rettung in letzter Sekunde, bestätigten die Einsatzkräfte noch am Unfallort.

Auch wenn jetzt schon ein paar Wochen ins Land gezogen sind, gehen die Erzählungen der Kids dem Zuhörer noch immer unter die Haut.

Amira berichtet eindrucksvoll, wie sie an Land eines der Kinder wiederbelebt hat. Auf die Frage, woher sie wisse, wie man reanimiert, erzählt sie stolz, dass sie bei der Jugendfeuerwehr Burgdamm ist und dort vor einiger Zeit ihren Erste-Hilfe-Schein gemacht hat.

Unterstützt wurden die jungen Retter und Retterin von drei Erwachsenen, die sich zu dieser Zeit in Ufernähe aufhielten und die verzweifelten Hilferufe hörten und beherzt eingriffen. Drei von vielen anderen Badegästen, die nicht geholfen haben. Matti erzählt immer wieder, wie erschreckend er es gefunden hat, dass es so viele Gaffer gab, die, anstatt zu helfen, ihre Handys rausgeholt und gefilmt haben.

237 Menschen sind in diesem Jahr bereits bei Badeunfällen in Deutschland ums Leben gekommen, sieben davon in Bremen. Eine Statistik, die zum Nachdenken anregt. Sicherlich sind die Gründe unterschiedlich. Übermut, mangelnde Schwimmkompetenz, Vernachlässigung der Aufsichtspflicht oder fehlende Zivilcourage spielen die größte Rolle. Dabei sind es gerade die ersten Minuten nach einem Unglück, die über den Erfolg der Reanimation und mögliche Folgeschäden entscheiden. Es gilt, die Zeit von Ereignis bis Eintreffen der Rettungskräfte, so gut es geht, zu überbrücken. Sicherlich ist es nicht leicht, die eigene Angst, etwas falsch zu machen, zu überwinden, aber nur, wer wegsieht und nichts tut, macht etwas falsch!

Am 09. August 2024 wurden die Mentor-Schüler, Lotta und die drei erwachsenen Helfer von Senator Ulrich Mäurer öffentlich belobigt. Eine Anerkennung, die zwischen 2004 und 2023 nur 33 Personen erhalten haben. Stolz nahmen alle Retter und Retterinnen ihre Urkunden entgegen und beantworteten die Fragen der anwesenden Presse.

Wir sagen noch einmal allen Helfern und Helferinnen herzlichen Dank für euer beherztes Eingreifen und eure großartige Zivilcourage. Ihr könnt sehr stolz auf euch sein – wir sind es in jedem Fall.

Daniela Wulf

 

Kinderchor auf dem Bremer Marktplatz

Das muss gefeiert werden: Am 24. August ist der Tag der ukrainischen Unabhängigkeit, und das wird jedes Jahr im In- und Ausland fröhlich gefeiert. Auch in Bremen gab es dazu eine Kundgebung und musikalische Darbietungen auf dem Marktplatz. Für den ukrainischen Kinderchor, der seit zwei Jahren im Sozialwerk Bremen beherbergt ist, hieß das: Bühne frei! Die Kinder begeisterten Hunderte von Menschen, motivierten zum Mitsingen und brachten ihre Verbundenheit zu ihrem Heimatland musikalisch zum Ausdruck.

Am Abend stand die Unabhängigkeit der Ukraine im Mittelpunkt eines ökumenischen Gottesdienstes, an dem u.a. der Bremer Bürgermeister Bovenschulte und die Präsidentin der Bremischen Ev. Kirche Bosse klare Worte gegen den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine fanden. Gemeinsam wurde für den Frieden gebetet, und im Anschluss gab es ein Konzert des ukrainischen Frauenchors GLORIA.

Ein herzliches Dankeschön an Anna Chulkova, ukrainische Chormeisterin, die seit vielen Jahren im Sozialwerk tätig ist, und an die Freiwilligen, die die wöchentlichen Chorstunden und das parallel stattfindende Elterncafé erst möglich machen. Das Chorprojekt ist ein Teil der Ukrainehilfe des Sozialwerks, wo beeinträchtigte Menschen geeigneten Wohnraum, Möbelhilfen und Unterstützung bei Behördenangelegenheiten bekommen.

Weiterer Dank gilt der „Aktion Deutschland hilft“, dem „Paritätischen Wohlfahrtsverband Bremen“, der Sparkasse und PSD Bremen und der Sparda Bank Hannover, deren Spenden die musikalische Förderung der Kinder ermöglichen.

Pastorin Andrea Hammer, Ph.D

 

Sommerfest 2024

Wo sich sonst nur Maulwürfe vergnügen, rückten Foodtrucks, Musikinstrumente, Bühne, Tische, Bänke und weiteres schweres Gerät an: Sommerzeit – Feierzeit! Am 23. August 2024 feierte das Sozialwerk sich selbst und miteinander. Über 400 Mitarbeitende strömten auf den grünen Festgrund am Grambker See, um den warmen Sommerabend, das breite gastronomische Angebot und die vielen fröhlichen Begegnungen zu genießen. Ganz besonders wurde der neue Zuwachs – Menschenskinners! – im Sozialwerk begrüßt, der seit einigen Monaten den Bereich Jugend & Familie vergrößert. Gesegnet wurden alle, von der Bühne und von oben: Der drohende Sturm legte sich schlagartig zum Festbeginn, und die Regenwolken zogen vorbei.

Vorstand Matthias Bonkowski entrollte dann, was viele nun endlich sehen wollten: das neue Logo. Rund und bunt schmückte es die Bühne – und die Geschenke, die aus dem frisch beklebten Bus an alle verteilt wurden. Möge das moderne und farbenfrohe Design eine frische Brise in die Unternehmenskommunikation bringen.

Musik querbeet beschallte die einsetzende Dämmerung und sorgte für ein beschwingtes Sommerfest, bei dem sicher niemand zu kurz kam, außer den Maulwürfen, deren Behausungen plattgetreten wurden. Aus Sicht der Maulwürfe war es kein guter Abend. Für alle anderen, die da waren: Ein rundum gelungenes Sommerfest!

Fotos: ©Andreas Schäfer

 

Hauptgewinn: Klassenreise nach Schottland

Welcher schottische Schauspieler spielte James Bond? Wann wurde Nessie zum ersten Mal gesichtet? Und welche Zutat kommt ins schottische Frühstücksporridge, aber nicht ins englische?

Die 8. Klasse der MENTOR Privatschule fand die Antworten – und noch viele mehr – heraus und holte damit den Hauptgewinn im Schottland-Quiz des Reiseveranstalters für Klassenfahrten, CTS-Reisen. Sechs Tage Edinburgh für die ganze Klasse!

Die Glücksfee zauberte einen modernen Reisebus samt Fahrer herbei, der die Reise kundig und sympathisch leitete. Der Auftakt: eine „schön-schaukelige“ Nordsee-Überfahrt bei trübem Wetter, ab der schottischen Grenze dann nur noch Sonne. Die Hauptstadt beeindruckte mit mittelalterlicher Pracht und mystischem Flair, beides geballt auf der „Royal Mile“, die die SchülerInnen auf Harry Potters Spuren entlangliefen. Geschichten und Anekdoten sollen sich hier zugetragen haben, die alle in den Bann zog. Das Herzstück des mittelalterlichen Edinburgh inspirierte auch die Autorin J. K. Rowling. Die vielen abzweigenden Gassen sind eng, oft von historischen Gebäuden flankiert und überbaut, – wer fühlte sich da nicht an die „Winkelgasse“ erinnert, in der Harry Potter seinen ersten Zauberstab erstand?

Am nächsten Tag ging es auf eine wunderschöne Küstenwanderung am Forth of Fife. Durch Höhlen, über Felsen, am (und sogar durchs) Wasser führte die Route ins Fischerdörfchen Anstruther an Schottlands Ostküste. Zum Abschluss gab es fangfrischen Fish & Chips, klassisch mit Salz und Essig oder mit Ketchup für den deutschen Gaumen. Britische Inselkultur in Reinform bei eher untypisch sonnigem schottischen Wetter! Der Blick über die glitzernde See und die beeindruckende Landschaft bleibt definitiv in positiver Erinnerung.

Schottische Kronjuwelen und das Kriegsgefangenenmuseum gab es am letzten Tag in Edinburgh zu sehen, als sich für die Klasse die Tore der eindrucksvollen Burg öffneten. Von hier reichte der Blick über die ganze Stadt und das weite Umland. Nach so viel Landschaft und Geschichte gab es zum Abschluss ein sehr modernes Highlight, das „Dynamic Earth Science Centre“. Die SchülerInnen gingen interaktiv auf Entdeckungsreise und erkundeten unseren faszinierenden Planeten, die Entstehungsgeschichte vom Urknall bis heute, die geologische und biologische Vielfalt, effektvoll visualisiert und technisch beeindruckend nahe gebracht. Eine Reise durch die Zeit in einer „Zeitmaschine“, ein toller 3D-Film und ein Planetarium mit Rundum-Projektion, die die elementare Bedeutung von Satellitentechnik erläuterte – „aufregend und spannend!“.

Ein letztes Mal saugten die SchülerInnen die Stimmung der Hauptstadt auf, besorgten Souvenirs und verabschiedeten sich von Edinburgh in Richtung Nordengland, zur Fähre in Newcastle. Alnwick Castle liegt am Weg und wurde „mitgenommen“: das Schloss – nach Windsor Castle das zweitgrößte Englands – war schon Drehort für etliche Filme, vor allem für die Harry-Potter-Reihe, wo es als Außenansicht der berühmten Schule für Hexerei und Zauberei diente (zu sehen bei Harrys erstem Flugversuch und beim Quidditch-Training). Wer hätte gedacht, dass die Reise zum Abschluss noch tatsächlich nach Hogwarts führen würde…

Ihr Schottland-Abenteuer wird die 8. Klasse nicht vergessen, die vielen Eindrücke wirken nach. Alle sind gut wieder in Bremen angekommen und brachten ihre persönlichen Erinnerungen und Highlights dieser besonderen Reise mit nach Hause. Fazit: Wahrlich ein absoluter Hauptgewinn!

 

Angehörige von Suchtkranken

Sucht ist eine Erkrankung, die nicht nur die suchtkranke Person selbst betrifft, sondern auch massive Auswirkungen hat auf das Leben der Angehörigen. Vor allem die Partnerin bzw. der Partner und die Kinder, aber auch Eltern und Geschwister leiden in der Not, mit ansehen zu müssen, wie die Sucht den Menschen mehr und mehr zerstört. Oft jahrelang versuchen sie, in hohem persönlichen und auch finanziellen Einsatz die Sucht des geliebten Menschen „in den Griff“ zu bekommen und sie oder ihn zu retten.

Eigene Bedürfnisse, Gefühle und Interessen werden oft so lange vernachlässigt, bis Angehörige selbst seelisch oder körperlich krank werden, weil ihr Denken, Fühlen und Handeln nur noch um das suchtkranke Familienmitglied kreist. Schlimmstenfalls wird das eigene Leben vollständig von der Sucht dominiert. Darum ist Sucht eine Familienkrankheit.

Manchmal verhalten sich Angehörige in Unkenntnis der Krankheit so, dass die Beibehaltung der Sucht begünstigt wird. Experten und Expertinnen sprechen dann von „suchtbegünstigendem Verhalten“ und schlagen vor, diesen Begriff zu benutzen statt den Begriff der „Co-Abhängigkeit“, der Angehörigen eine Schuld an der Aufrechterhaltung des Suchtverhaltens sowie eine eigene psychische Erkrankung unterstellt.

Was ist suchtbegünstigendes Verhalten?

  • Leugnen, Wegschauen, Vertuschen, Bagatellisieren: Dies geschieht in der Regel aus Scham und um den suchtkranken Menschen zu beschützen.
  • Die Schuld bei sich suchen und damit die suchtkranke Person aus der Eigenverantwortung entlassen
  • Versuche, den Konsum zu kontrollieren oder zu verhindern, z. B. angebrochene Schnapsflaschen mit Wasser aufzufüllen, lassen den kranken Menschen nur immer raffiniertere Wege finden, das Suchtmittel zu konsumieren und den Konsum zu verheimlichen.
  • Der suchtkranken Person Aufgaben und Verantwortung abnehmen: z. B. beim Arbeitgeber krankmelden oder die Schulden des suchtkranken Kindes begleichen oder die Verwüstungen beseitigen, die im Rausch angerichtet wurden

Und was hilft? Tipps zum Umgang mit suchtkranken Angehörigen:

  • Sprich es an, wenn du das Gefühl hast, dass die betroffene Person zu viel konsumiert oder suchtproblematische Verhaltensweisen entwickelt – ohne Vorwürfe zu machen oder zu belehren.
  • Akzeptiere, dass Sucht eine Erkrankung ist, keine böse Absicht oder Charakterschwäche. Ihre Überwindung braucht viel Zeit und Kraft.
  • Verabschiede dich von Schuldgefühlen: Auch wenn in eurer Beziehung nicht alles glatt gelaufen ist: Du bist nicht schuld an der Suchterkrankung.
  • Übernimm Verantwortung für dein eigenes Leben: Lass die Sucht nicht zu deinem Lebensmittelpunkt werden. Kümmere dich um deine eigenen Bedürfnisse und Interessen. Achte auf deine Gesundheit.
  • Such dir Hilfe. Wende dich an eine Beratungsstelle und nimm die Unterstützung einer Selbsthilfegruppe für Angehörige von Suchtkranken in Anspruch.

Suchterkrankungen sind leider häufig noch ein Tabu. Das Thema anzusprechen, fällt darum schwer. Man fürchtet, den anderen zu beschämen, zu Unrecht zu verdächtigen und zu kränken. Doch Nichtstun und Wegschauen ist keine gute Option. Von allein wird sich das Problem nicht lösen. Nur wenn jemand der/dem Betroffenen den Spiegel vorhält, erhält sie/er den Impuls, sich mit dem Problem zu befassen.

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Ich stehe für Information und Beratung zur Verfügung: Simone Vogt, Betriebliche Suchtkrankenhelferin, Telefon 61 90 – 187

Unser Verband wird 100

2024 ist ein besonderes Jahr für Menschenrechte und Demokratie. Ganz Deutschland feiert 75 Jahre Grundgesetz! Und bereits 25 Jahre vor diesem historischen Meilenstein wurde der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband gegründet, der sich für Demokratie und Menschenwürde stark macht.

Seit 100 Jahren steht „Der Paritätische“ für eine „demokratische, offene, vielfältige Gesellschaft, an der alle Menschen gleichwürdig teilhaben und Schutz erfahren – unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht, sozialer oder ethnischer Herkunft, Alter, Religion oder Weltanschauung, sexueller Identität, materieller Situation, Behinderung, Beeinträchtigung, Pflegebedürftigkeit oder Krankheit“ (Zitat: Homepage). Die Mitgliedsorganisationen verbindet die Idee der Parität, der Gleichwertigkeit aller in ihrem Ansehen und ihren Möglichkeiten.

Das Sozialwerk ist stolz auf die Mitgliedschaft im Paritätischen und gratuliert herzlich zum 100. Geburtstag.

 

Weihnachten im Schuhkarton

Andrea und Burkhard Orlovsky feiern ihr 25-jähriges Engagement für die Aktion „Weihnachten im Schuhkarton“. „Silberhochzeit“, sagt sie lachend. Doch jetzt ist Schluss. Sie verkaufen ihr Haus und verkleinern sich. Das Bremer Paar betreute seit 1998 mit großer Hingabe das Projekt, das zu Weihnachten Geschenke an Kinder verteilt, deren Weihnachtsfest nicht durch eine Fülle von Gaben, sondern durch Entbehrung und Not geprägt ist.

In ihrer Garage lagerten zeitweise bis zu 1000 Kartons mit liebevoll gepackten Geschenkkartons, bevor sie dann an eines der vier Zentrallager in Deutschland gebracht wurden.

Seit 1993 gibt es „Weihnachten im Schuhkarton“, die Aktion der Hilfsorganisation „Samaritan’s Purse e.V.“ Weltweit  werden jedes Jahr Millionen bedürftiger Kinder in über 160 Ländern und Regionen beschenkt. Die Päckchen aus dem deutschsprachigen Raum gehen meistens an osteuropäische Länder.

Bei der Aktion wird durch die Spender:innen ein Schuhkarton mit Geschenkpapier beklebt und mit kleinen Geschenken gefüllt: Spielzeug, Hygieneartikel, Schulsachen und Kleidung. Ein Flyer informiert über die zollrechtlich zulässigen Dinge, die eingepackt werden dürfen. Zum Schluss wird der Karton mit dem Deckel und einem Gummiband verschlossen, aber nicht zugeklebt, denn Andrea Orlovsky öffnet jeden Karton und prüft ihn auf Zulässigkeit und Vollständigkeit, korrigiert oder ergänzt den Inhalt entsprechend. Die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Zoll macht es inzwischen möglich, dass sie anschließend die Kartons fest verschließen darf und der Zoll zur Kontrolle nur noch Stichproben macht und einzelne Kartons öffnet. Ein Aufkleber, der dem Flyer entnommen werden kann, wird auf den Karton aufgeklebt und informiert, ob das Geschenk für einen Jungen oder ein Mädchen gedacht ist und für welche Altersgruppe.

Von der Tagesstätte Nord bekommen die Orlovskys seit vielen Jahren handgefertigte Strickwaren und andere Sachspenden, mit denen sie die gespendeten Kartons komplettieren können. Auch in diesem Jahr ist wieder ein ganzer Tisch voller Gaben zusammengekommen. Anlässlich ihres Abschieds zeigten die beiden den Gästen der offenen Einrichtung für psychische beeinträchtigte Menschen in Vegesack Dias und Filmsequenzen ihrer Reise nach Weißrussland im Jahr 2018. Die Gäste waren bewegt von der Armut im Land und der Freude in den Augen der Empfangenden vor Ort. Auf einigen der Bilder entdeckten sie ihre selbstgestrickten Socken, Mützen und Schals und freuten sich über die gelungenen Überraschungen zum Weihnachtsfest.

Andrea Orlovsky berichtete von der guten Organisation der Verteilung im Empfängerland. Die christlichen Gemeinden mit ihrem gut funktionierenden Netzwerk seien eine unverzichtbare Hilfe bei der Verteilung. Teils würden die Geschenke an die Kinder verteilt, die sich im Gemeindehaus einfinden. Aber die Reisegruppe, der sich die Orlovskys angeschlossen hatten, besuchte auch Familien zu Hause und bekam Einblicke in die große Not alleinerziehender Elternteile, behinderter Kinder oder von Suchtstrukturen geschädigter Familien.

„Wie kann ich mithelfen?“, ist wohl die meistgestellte Frage an Andrea Orlovsky, wenn sie die Arbeit in Schulen, Seniorenheimen oder anderen Einrichtungen vorstellt und für die Geschenkaktion wirbt. Und für diese Frage ist sie gewappnet: „Selber ein Paket packen, ein gepacktes Geschenk kaufen, sich zusammentun und ein Geschenk packen, beim Packen helfen oder Geschenke transportieren.“ Viele haben sich von den Orlovskys begeistern lassen. Und so lassen auch die Zahlen der letzten Aktion sich sehen: 10 Millionen Pakete wurden weltweit gepackt und ausgeliefert, 291.554 Pakete davon im deutschsprachigen Raum. Aus Bremen kamen dabei knapp 2000 Stück, aus Bremen-Nord 472.

Gepackt werden kann das ganze Jahr, eingesammelt werden die Geschenke in den ersten beiden November-Wochen. Infos über die Aktion und über die nächste Sammelstelle gibt es unter: www.weihnachten-im-schuhkarton.org

 

Party auf der Arche Noah

Haus Noah ist nach der biblischen Arche Noah benannt. Als die große Flut kam, fanden Noah und seine Familie in dem großen Schiff Zuflucht und Rettung. Ähnlich bedroht, wie seinerzeit die Menschen des alten Testamentes sind heutzutage viele Menschen, die durch Alkohol und andere Süchte in eine lebensbedrohliche Situation geraten. Das Wasser steht ihnen bis zum Hals und sie können sich selbst nicht mehr retten. In der Einrichtung für alkohol- und mehrfach abhängige Menschen finden sie Struktur und Unterstützung, um ein neues, nüchternes und cleanes Leben zu führen. Diese Einrichtung in Grambke gibt es seit 25 Jahren. Grund genug zum Feiern.

Ehemalige und aktuelle Nutzerinnen und Nutzer der Einrichtung feierten gemeinsam mit Betreuenden und Gästen am 8. September im Bauernhaus den Geburtstag der Einrichtung. Hierfür hatte die Werkstatt Holz und Ideen eigens eine Bühne in  Form einer Arche mit darüber schwebendem Regenbogen gebaut. Die Werkstatt Garten und Kunst hatte kunst- und phantasievolle Dekoration für den Festsaal gefertigt. Der ehemalige Bäckermeister der ArBiS-Bäckerei hatte eine Torte in Form einer Arche mit vielen liebevoll und lustig gestalteten Details angefertigt.

Nicole Nullmeyer, Leiterin des Bereiches Seelische Gesundheit im Sozialwerk, begrüßte die Gäste, die von maritimer Musik des „Bremer Handörgler“ in den Saal des Bauernhauses gelockt worden waren. Nach einer kurzen Andacht von Pastor Uli Schulte gab es in der Arche einen Rückblick auf die Gründungszeit von Haus Noah durch Silvia Hilbers, aktuelle Leiterin des Hauses, und Anneliese Lindemann, ehemalige Leiterin der Einrichtung.

Nun kamen die Nutzerinnen und Nutzer zu Wort. Nicole Nullmeyer und Lara-Kristin Wawrowski, Mitarbeiterin in Haus Noah, kamen in lockerer Runde mit drei Nutzerinnen und Nutzern ins Gespräch. Diese erzählten offen und nachvollziehbar ihren Weg in die Einrichtung und wie sich ihr Leben dort verändert hat und aktuell gestaltet.

Nach einem musikalischen Zwischenspiel und alkoholfreien Cocktails von „Jim’s Bar“ vor den Türen des Bauernhauses, interviewte Einrichtungsleiterin Beate Rettig aktuelle Nutzerinnen und Nutzer zu der Wandlung, die das Leben in Haus Noah mit sich gebracht hat und befragte sie nach ihren Wünschen und Hoffnungen für die Zukunft. Auch Fragen aus dem Publikum stellten sich die Interviewten offen und ehrlich.

Spontan meldeten sich noch Ortsamtsleiter Florian Boehlke und der Diakon der benachbarten evangelischen Kirchengemeinde Grambke und Suchtbeauftragter der Evangelischen Kirche Bremen zu Wort und übermittelten wertschätzende Grußworte zum Jubiläum.

Beim anschließenden, maritimen Essen aus der Sozialwerks-Küche gab es viel Gelegenheit zum Austausch. Wer mochte, konnte noch an einer Führung durch Haus Noah durch jeweils eine Nutzerin oder einen Nutzer sowie einem Mitarbeitenden der Einrichtung teilnehmen.

Am nächsten Tag wurde das Jubiläum mit dem Arche-Noah-Stand im Rahmen des Sommerfestes am Grambke See „Ganz Grambke geht baden“ gefeiert. Eine interne Feier mit allen Nutzenden der Einrichtung folgte in der darauf folgenden Woche. Eine rundum gelungene Veranstaltung und angemessene Würdigung, fanden alle Beteiligten.


Eine phantasievolle Torte zum Jubiläum


Die Bremer Handörgler


Pastor Uli Schulte


Ortsamtsleiter Florian Boehlke
im Gespräch mit Nicole Dalewski


Girlande mit guten Wünschen zum Jubiläum


Diakon Herbert Hinze (ev. Kirchengemeinde Grambke)


Gefeiert wurde im Bauernhaus in Grambke

Zurück in eine bessere Zukunft

Jubiläum Haus Noah, Teil 2

Patricia Birkenfeld und Andrea Sperling: Der lange Kampf aus der Alkoholsucht

Bremen. „Es war wie ein Schlag in die Magengrube.“ Patricia Birkenfeld erinnert sich noch genau an den Tag, als ihr Leben die möglicherweise entscheidende Wendung nahm. Die gebürtige Rotenburgerin hatte gerade einen ihrer fast 4o Entzüge hinter sich, als der Leiter der Entgiftungsstation des Krankenhauses die 53-Jährige zur Seite nahm. „Er hat mir klar gemacht, dass ich, wenn ich jetzt nach Hause zurückkehre, nicht mehr lange zu leben habe, erzählt Patricia Birkenfeld.  Die deutliche Ansage des Arztes wirkte wie ein Wachmacher. „Ich habe sofort den Sozialdienst angesprochen. Dann ging alles ganz schnell. Gerade einmal drei Tage dauerte es, dann wusste Patricia Birkenfeld: Ich muss nicht mehr nach Hause. Auf sie wartete ein Appartement in Haus Noah. „Dass ich vom Krankenhaus direkt nach Grambke konnte, hat mir das Leben gerettet“, sagt Patricia Birkenfeld und ergänzt, „ ich bin stolz darüber, dass ich das so gemacht habe.“

Das ist jetzt mehr als fünf Jahre her. Am 14. Mai 2018 zog sie in den Ellerbuschort 15. Hinter ihr lag da bereits eine zwei Jahrzehnte währende Alkoholkarriere. Zwei Schicksalsschläge hatten Patricia Birkenfeld aus der Bahn geworfen. 1997 war ihre Mutter, gerade 46 Jahre alt, an Krebs verstorben, ein Jahr später hatte ihr Bruder Selbstmord begangen. „ Das hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen.“ 2002 landete die Mutter von zwei Kindern erstmals im Krankenhaus, der Beginn der  Abwärtsspirale. Patricia Birkenfeld verlor den Kontakt zu ihren Kindern, 2014 verstarb zudem ihr langjähriger Partner.

Heute, nach fünf Jahren in „Haus Noah“ hat Patricia Birkenfeld wieder festen Boden unter den Füßen. Auch wenn sie gerade eine seelische Talsohle durchleben muss – eine neue Partnerschaft ist in die Brüche gegangen – hat sie die Lebensfreude zurückgewonnen, schaut positiv in die Zukunft. In der Heimstätte „Am Oslebshauser Park“  arbeitet sie vier Tage in der Woche für einige Stunden in der Hauswirtschaft. Zudem engagiert sie sich im Bewohner-Beirat von „Haus Noah“ und einmal in der Woche geht sie zur Selbsthilfegruppe „Freundeskreis“. Glücklich macht Patricia Birkenfeld aber vor allem, dass sie wieder Kontakt zu ihren Kindern und den zwei Enkeln hat. Dennoch möchte sie ihren Aufenthalt in Haus Noah gern um ein weiteres Jahr verlängern. „Eigentlich müsste ich im September ausziehen, aber durch die Trennung von meinem neuen Partner habe ich gemerkt, dass ich noch nicht stabil genug bin, alleine zu leben.“ Jetzt wartet sie darauf, dass der Kostenträger, das Amt für soziale Dienste, ihr ein weiteres Jahr in Grambke bewilligt.

Beate Rettig, die Leiterin von „Haus Noah“, sieht dafür gute Chancen. Dennoch glaubt auch sie, dass Patricia Birkenfeld den Sprung zurück in ein selbstständiges Leben schaffen kann. „Beim Auszug bleibt ihr ihr Arbeitsplatz erhalten und auch die Selbsthilfegruppe wäre eine ganz große Stütze“, sagt Beate Rettig. „Das sind Leute, die sie stabilisieren. Sie  helfen und unterstützen sich gegenseitig und greifen auch ein, um Leben zu retten. Das sind Kontrolle und Druck gleichermaßen.“

Andrea Sperling ist froh, in Patricia Birkenfeld eine Freundin gefunden zu haben. Die 59-Jährige hat erst im Januar dieses  Jahres in „Haus Noah“ eine neue Bleibe gefunden. Doch richtig angekommen ist sie in Grambke noch nicht. „Ich habe schon einmal von 2019 bis Mai 2021 in „Haus Abraham“, einer weiteren Einrichtung des Sozialwerks, gewohnt.“ Dort ist Andrea Sperling aber wieder ausgezogen, da sie von einem männlichen Mitbewohner psychisch wie physisch bedrängt worden war.  „Ich habe mir dann wieder eine eigene Wohnung gesucht, obwohl ich eigentlich gerne dort geblieben wäre.“  Ein fataler Schritt mit dem zu erwartenden Resultat: ein neuerlicher Rückfall.  Obwohl Andrea Sperling wusste, dass sie ohne Hilfe so nicht weiterleben konnte, zögerte sie dennoch, das Angebot in „Haus Noah“ einzuziehen, anzunehmen. Die negativen Erlebnisse  in der Schwestereinrichtung Haus Abraham hatten ihre Spuren hinterlassen. Doch schließlich überwand sie sich. „Es war der richtige Schritt“, sagt sie heute.

Auch Andrea Sperlings Leben ist geprägt von jahrzehntelangem Alkoholmissbrauch. 1992 lernte sie ihren späteren Mann kennen, zog zu ihm nach Bremerhaven und kümmerte sich fortan um den Haushalt. „Mein Mann hatte schon zwei Kinder, zwei und vier Jahre alt. Dazu lebte noch der Großvater mit im Haus. Zwei Jahre später kam unsere gemeinsame Tochter zur Welt.“ Die junge Frau kümmerte sich von Anfang an um alles, doch das war für sie allein zu viel. Eine Unterstützung durch ihren Mann erfuhr sie nicht. „Die Belastung wurde einfach zu groß. So fing ich an zu trinken, zuerst mit einem Bier am Tage.“ Der Beginn der Abwärtsspirale auch bei Andrea Sperling.

Der Kauf eines Reihenhauses änderte daran genauso wenig, wie später der Auszug der mittlerweile erwachsenen Stiefkinder. „Das Trinken wurde immer schlimmer“, erinnert sich die gebürtige Bremerin. Doch noch fataler für sie: „Meinem Mann war alles egal, er hat sich um nichts gekümmert. Er saß nur vor dem Computer, war richtig süchtig danach. 2009 landete Andrea Sperling wieder in der Klinik Reinkenheide,  die nächste Entzugsbehandlung folgte, sie wog nur noch 38 Kilo. Danach zog sie zum ersten Mal die Reißleine. „Ich habe die Ehe beendet.“ Sie bezog mit ihrer eigenen Tochter eine kleine Wohnung. „Wir machten uns das richtig nett, es ging uns gut.“ Dieses kleine Glück währte nur kurz. Doch eines Tages verkündete ihre Tochter, sie werde zu ihrem Vater ziehen. „Da bin ich in ein tiefes Loch gefallen.“  Es folgten wieder Alkohol-Exzesse, Entzugsbehandlungen.

Doch Aufgeben war für Andrea Sperling keine Option. „Ich wollte in einer betreuten Einrichtung unterkommen, das war mein Wunsch.“  Unterstützung fand sie in einer Lehrerin ihrer Tochter, der sie sich schon früh anvertraut hatte. So kam die 59-jährige schließlich auf die Einrichtungen des Sozialwerks der Freien Christengemeinde: erst in „Haus Abraham“, danach in „Haus Noah“.

Ebenso wie Patricia Birkenfeld arbeitet Andrea Sperling aktuell in der Hauswirtschaft in Oslebshausen und genauso wie die neue Freundin findet Andrea Sperling zusätzlichen Halt in einer Selbsthilfegruppe bei den Guttemplern. Zudem hat sie den Kontakt zur Psychologin  in „Haus Noah“ gefunden. „Ich will lernen, meine Sucht zu begreifen.“ Sie will endlich raus aus dieser Endlos-Schleife.

Ein Wiedersehen mit der eigenen Tochter hat es für Andrea Sperling immer noch nicht gegeben, immerhin hält die ältere Stieftochter den Kontakt zu ihr aufrecht. Aber da hält es Andrea Sperling ähnlich wie ihre Freundin Patricia Birkenfeld: „Ich muss jetzt an mich denken.“  An eine Rückkehr in ein selbstverantwortliches Leben verschwendet Andrea Sperling noch keinen Gedanken.

Michael Thurm

Eine Vision wird Realität

25 Jahre „Haus Noah“ – ein Leuchtturmprojekt in der Suchtkrankenhilfe für Bremen

Der Tag ist noch jung. Doch die Sonne strahlt prächtig vom fast wolkenlosen Himmel, die blauen Balkone des mehrgeschossigen Hauses Ellerbuschort 15 glänzen im hellen Tageslicht. Ein selten schöner Morgen in diesem feuchten Sommer 2023. Einige Bewohner des Hauses genießen bereits die wärmende Sonne. Freundlich nicken sie den Passanten zu.

„Rentner, die haben es gut“, mag so mancher beim Vorbeigehen denken. Tatsächlich wirkt dieses Gebäude auf den ersten Blick wie ein ganz normales Wohnhaus – mit Menschen, die sich an diesem Morgen womöglich vom stressigen Alltag erholen. Menschen, die womöglich ihren Ruhestand auskosten, unabhängig von Zeit und Raum. 

Doch das Idyll täuscht. Die Frauen und Männer, die auf den Balkonen  von „Haus Noah“ – so prangt es auf großen Lettern über der Eingangstür – die Sonne genießen, sind zuvor durch die Hölle gegangen. Ihr Leben war aus den Fugen, in eine Schieflage geraten. Der Alkohol hatte die Macht über ihr Leben gewonnen, beherrschte ihren Alltag. Jetzt kämpfen sie in „Haus Noah“ tagtäglich um ihre letzte Chance, zurück in ein trockenes und möglichst selbstbestimmtes Leben zu finden.

Im März 1998 eröffnete das Sozialwerk der Freien Christengemeinde „Haus Noah“ als Fördereinrichtung für Menschen mit schwerer Alkoholerkrankung. Die meisten leiden an dem sogenannten Korsakow-Syndrom. Es ist heute kaum vorstellbar, dass „Haus Noah“ damals die erste Einrichtung dieser Art in Bremen war. Doch bis in die 90iger-Jahre galten Korsakow-Patienten als „nicht mehr therapierbar und nur noch dauernd zu verwahren“. Ihren Lebensabend verbrachten sie in der Regel in psychiatrischen Krankenhäusern oder verschwanden irgendwo in Altenheimen. „Satt, sauber und trocken“, lautete damals die Devise.

Heinz Bonkowski, Mitbegründer und damaliger Leiter des Sozialwerks, erinnert sich noch gut an die Zeit. „Wir hatten 1982 die Heimstätte am Grambker See eröffnet und dort auch suchtkranke Menschen aufgenommen. „Dass wir das gut machen, hatte sich bis zur Psychiatrie in Bremen-Ost herum gesprochen. Außerdem wollte dort niemand mehr Menschen aus Bremen in Kleinstgruppen nach Niedersachsen abschieben.“

Heinz Bonkowski hatte 1979 zusammen mit der Freien Christengemeinde das Sozialwerk gegründet. Seine Vision: hilfsbedürftige Menschen annehmen, wie sie sind, und ihnen einen wertvollen Platz in der Gesellschaft geben. Die Eröffnung von „Haus Noah“ war da nur logisch. In dem ehemaligen Hotel Bollmann, im Ellerbuschort 15, fanden Heinz Bonkowski und sein kongenialer Partner Armin Hein („Ich hatte die Visionen und Armin war das Finanzgenie“) den idealen Ort. „In dem Haus brachten wir zuvor schon Spätaussiedler und jüdische Zuwanderer aus Russland unter.“ Nach einer umfassenden Renovierung wurde „Haus Noah“ im März 1998 eröffnet. Vier Wochen später waren die 24 Appartements belegt.

Angesichts der Schicksale dieser Menschen von einer Erfolgsgeschichte zu sprechen klingt für mache Ohren sicherlich makaber – und doch ist das „Haus Noah“ eine Erfolgsstory. Keine weiß dies besser als die Leiterin der Einrichtung, Beate Rettig. Die 63-jährige Diplom-Sozialpädagogin gehört seit 2002 zum neunköpfigen Noah-Team und löste 2004 Anneliese Lindemann als Leiterin ab. „Menschen, die durch die die „Rund-um-die-Uhr-Arbeit“ zurückfinden in den eigenverantwortlichen Alltag, sind Belohnung für die aufzehrende aufopferungsvolle Tätigkeit.“  Auch nach mehr als zwei Dekaden ist Beate Rettig von ihrer Arbeit fasziniert.  „Ich habe in all den Jahren so viele besondere Menschen kennengelernt – Menschen, die mich fasziniert haben. Wenn sich diese Menschen öffnen, dann sind das ganz große Schätze.“

Doch bis sich diese Menschen öffnen, ist es oft ein sehr, sehr langer Weg. Und nicht immer endet dieser Weg zurück in der Normalität. „Die Menschen, die ins Haus Noah einziehen, sind die Stärksten“, sagt Beate Rettig. Diese Menschen kämpfen, haben sich noch nicht aufgegeben, suchen Hilfe. Wer ins Haus Noah kommt, hat alles verloren – den Arbeitsplatz, die Wohnung, meistens den Kontakt zu Partnern, zu den Kindern. Letzte Ausfahrt Grambke!

Deshalb ärgert Beate Rettig eines ganz besonders: die Stigmatisierung der alkoholsüchtigen Menschen. „Die sind weder doof noch dumm, sie sind krank – und wir müssen ihnen helfen.“

 „Satt, sauber, trocken“ ist ein Betreuungsziel aus längst vergangenen Tagen. Heute werden Korsakow-Patienten individuell oder in Kleingruppen begleitet und gefördert.  Wesentliche Bestandteile der Arbeit sind von Anfang an ein alkoholfreies Haus, eine geregelte Tages- und Wochenstruktur mit Arbeitszeiten, Ruhepausen und gemeinsamen Freizeitaktivitäten. Dazu gehören auch lebenspraktische Fähigkeiten wie etwa Einkäufe oder Busfahrten. „Durch den jahrzehntelangen Alkoholmissbrauch sind bestimmte Zellen und Bereiche des Gehirns zerstört worden. Darunter leidet insbesondere das Kurzzeitgedächtnis“, erzählt Beate Rettig. Worte, Belehrungen und Erklärungen nutzen wenig, weil sie schnell vergessen werden. Hauptsächlich  durch eigenes Tun und Handeln lernen die Bewohner – die laut Bundesteilhabegesetz eigentlich politisch korrekt Nutzer: innen genannt werden müssen. Unterstützt werden sie dabei durch tägliche therapeutische Anleitung und ergo-therapeutische Übungen.  Die meisten Bewohner leider unter einer Co-Morbidität. Sie sind nicht nur alkoholkrank, sondern leiden beispielsweise auch unter Depressionen, Angst- und Panikstörungen, Essstörungen, Persönlichkeitsstörungen; dazu kommen körperliche Erkrankungen. 

„Anschaffen, konsumieren, ausschlafen“ – so prägnant beschreibt Beate Rettig den Alltag eines schwerstalkoholkranken Menschen. Die Wohnung aufräumen, Essen kochen, gar Kontakte pflegen – nichts von alledem ist diesen Frauen und Männern noch möglich. Deshalb geht die Einrichtungsleiterin in den Vorstellungsgesprächen auch nicht auf die Verweildauer ein.  Wenn es gut laufe, können einige nach drei bis vier Jahren in „Haus Noah“ in eine eigene Wohnung zurückkehren. Wer gezielt danach fragt, der bekommt eine Antwort. Eine Antwort, die die meisten Betroffenen zunächst einmal erschrickt. „So lange …“

Doch wenn die Frauen und Männer wieder in den verschiedenen Werkstätten des Sozialwerks arbeiten, sie ihre tief vergrabenen Talente freilegen und sie ihr Selbstwertgefühl wiedergefunden haben und bereit sind, Kontakte zu ihren Angehörigen aufzunehmen, sind sie in „Haus Noah“ endgültig angekommen.

Nicht ohne Grund hatten die Gründerväter dem Domizil im Ellerbuschort den Namen Noah gegeben. „Viele wissen nur, dass Noah etwas Gutes getan hat, aber Noah war auch ein Säufer“, sagt Heinz Bonkowski. Noah baute nicht nur die Arche, sondern legte neben Feldern auch einen Weinberg an – und wie es im Buch Mose beschrieben ist, sprach der dem Rebensaft auch ordentlich zu. Doch die Bibel berichtet auch vom würdevollen Umgang der Söhne Sem, Ham und Jafet mit dem betrunkenen Vater. Die Brüder halfen ihrem Vater, wie „Haus Noah“ alkoholkranken Menschen hilft – seit einem Vierteljahrhundert.

Michael Thurm