Das wirkt, oder?
Bewirkt das, was wir tun, eigentlich was? Was machen wir richtig und was können wir besser machen? Diese naheliegenden und doch selten gestellten Fragen beschäftigten im Jahr 2018 Beate Rettig und ihre Kollegin Gesa Gernert. Die beiden Kolleginnen sind in den Suchteinrichtungen des Sozialwerks tätig und begleiten die Entwicklung der Bewohner*innen, die unter chronischen Abhängigkeiten leiden. Es gibt viele Angebote für diese Menschen und feste Strukturen haben sich etabliert. Doch sind diese alle sinnvoll und zielführend? Gemeinsam erarbeiteten die Einrichtungsleiterin und die Psychologin einen Fragenkatalog, der allen Bewohner*innen vorgelegt wurde. Im gemeinsamen Gespräch wurden die Antworten protokolliert und anschließend verarbeitet. „Das war eine Menge Arbeit“, so Beate Rettig, „und wäre ohne meine Kollegin Gesa nicht möglich gewesen, die sich auch ehrenamtlich sehr in dieser Sache engagiert hat.“ Die beiden Frauen bekamen außerdem wertvolle Unterstützung vom Leiter der IT-Abteilung, Patrick Kötteritzsch. Er gab hilfreiche Tipps bei der Erstellung und Auswertung von Excel-Tabellen zur Erfassung der Umfrageergebnisse. In einem 16-seitigen Bericht wurden die Ergebnisse zusammengetragen und für die Nutzer*innen der Einrichtungen in anschaulichen Diagrammen als Poster dargestellt. Die Resultate der Befragung waren für die Nutzer*innen, aber auch besonders für die Anbieter*innen der Angebote hoch interessant. Viele Angebote erwiesen sich als hilfreich und hoch effektiv. Andere wurden als wenig effektiv entlarvt. „Nun wissen wir, woran wir arbeiten müssen“, so Beate Rettig. „Wir sind den Bewohner*innen so dankbar für ihre Kooperationsbereitschaft. Denn sie sind die Experten. Sie wissen, was ihnen guttut und was überflüssig ist, wovon es mehr geben sollte und wovon weniger.“ Den Impuls für eine Evaluation hatte Beate Rettig durch den leitenden Oberarzt des Zentrums für Psychosoziale Medizin, Dr. Dominik Dabbert, bekommen.
Die Befragung war freiwillig. Jedoch haben sich alle Bewohner*innen der besonderen Wohnformen, Haus Abraham und Haus Noah, beteiligt. Für alle gab es die gleichen Rahmenbedingungen. Das Interview fand in einem öffentlichen Raum statt und wurde durch Beate Rettig durchgeführt, die sich in der Thematik von Suchterkrankungen gut auskennt und doch mehr Abstand zu den Bewohner*innen hat als eine Betreuungsperson.
Es gab 30 Fragen. Für viele Fragen gab es vier Antwortmöglichkeiten: äußerst hilfreich, etwas hilfreich, eher überflüssig, völlig überflüssig. Eine neutrale, mittlere Antwortmöglichkeit wurde bewusst vermieden. Fragen waren z.B. „Eine feste Tagesstruktur ist für mich…“ oder „Eine Selbsthilfegruppe zu besuchen, ist für mich…“ Darüber hinaus gab es Ja/Nein-Fragen, wie z.B. „Auch, wenn ich trocken lebe, bin ich immer rückfallgefährdet.“ oder „Ich bin freiwillig in dieser Einrichtung.“
Nach der Auswertung wurde aus Mitarbeitenden und Nutzer*innen eine Konzeptgruppe gebildet. Diese Gruppe hatte die Aufgabe, ein Konzept für Änderungen zu entwickeln, um das Angebot zu optimieren. Die Änderungen wurden dann umgesetzt und nach zwei bis drei Monaten erneut kontrolliert. Als erste Früchte dieser Konzeptgruppe gibt es nun z.B. eine neu gestaltete Geburtstagsfeier in den beiden Einrichtungen: Pro Quartal gibt es eine Trocken-Geburtstagsfeier mit „Tortenschlacht“. Da wird dann so richtig gefeiert, dass Bewohner*innen ein oder mehrere Jahre trocken leben, was für die meisten gleichbedeutend mit einem Geburtstag ist, da sie ohne Abstinenz wohl nicht mehr am Leben wären. Im Bereich der Wahrnehmung der eigenen Gefühle und Gedankengänge arbeitet die Gruppe an weiteren Veränderungen für die Bewohner*innen in Haus Noah.
Die letzten Skeptiker dieser Aktion sind überzeugt: Evaluation ist ein großartiges und hilfreiches Instrument, um tiefere Erkenntnisse darüber zu gewinnen, was wirklich wirkt. „Ein bisschen Mut gehört allerdings schon dazu, sich hinterfragen und kritisieren zu lassen“, weiß Beate Rettig zu berichten. „Letztendlich können wir aber nur besser werden.“ Sie möchte dieses hoch wirksame Instrument weiter nutzen, um die Arbeit im Sozialwerk zu verbessern und die Evaluation 2018/2019 mit einigen Verbesserungen nach einigen Jahren wiederholen.