Von der Not zur Tugend

Im März wurden die Tagespflege-Einrichtungen für Senioren aufgrund der Pandemie-Beschränkungen geschlossen. Die Mitarbeitenden unterstützten in der nun folgenden Zeit die anderen Bereiche des Sozialwerks. So erging es auch Wilhelmine Stender, der verantwortlichen Pflegefachkraft in der Tagespflege Neustadt. Sie wurde in der Heimstätte am Oslebshauser Park als Betreuungskraft eingesetzt. Die zunächst für alle herausfordernde Situation wandelte sich in eine für alle Beteiligten bereichernde Zeit. In einer Denksport-Aktion im Rahmen der Beschäftigung sammelten die Senioren 40 Wörter, die ihnen zum Thema „Mai“ einfielen. Die nun folgende Aufgabe, aus diesen Wörtern eine Geschichte zu kreieren, stieß zunächst auf Bedenken. Handschriftlich wurden Texte auf Flipcharts geschrieben. Gemeinsam wurden Einleitung, Hauptteil und Schlussteil erarbeitet. Die Freude und das Zutrauen wuchsen mit dem Tun. „Die Formulierungen stammen vollständig von den Senioren, die Zusammenstellung der Textfragmente auch zu etwa 80 Prozent“, erzählt Wilhelmine Stender stolz über die gelungene Aktion. Sie habe den Prozess lediglich gesteuert, schließlich das Ganze abgetippt und zu einem Ganzen zusammengefügt. Am 26. Juni feierte das kreative Team den fertiggestellten Text und den Abschied von Wilhelmine Stender, die in der wiedereröffneten Tagespflege Neustadt dringend gebraucht wurde. (Dorothea Salzmann-Schimkus)

 

Der Mai ist gekommen!

Nach dem launischen April freuen wir uns alle auf den Wonnemonat Mai; er ist der schönste Monat im Jahr. Alles ist grün, die Blumen blühen in den verschiedensten Farben und das Unkraut sprießt. Der Spargel schießt und die Sonne macht die Erdbeeren rot. Bei der Gartenarbeit werden wir von einem Gewitter überrascht. Nach dem heftigen Regen kommt der Regenbogen hoch. Das Vogelgezwitscher verrät, dass die Vögel brüten wollen. Die Schwalben und Störche sind bereits aus dem Süden zurückgekehrt. Auch die Maikäfer werden wieder sichtbar. Selbst die Maikatzen dürfen zur Freude der Kinder nicht fehlen. Während der anstrengenden

Gartenarbeit genießen wir die Maibowle, holen den Maibaum und gehen abends zu flotter Musik zum Tanz in den Mai. Am Tag der Arbeit finden viele Umzüge statt. Das Maibock-Fass wird angestochen und wir lassen uns das erste kühle Bier gut schmecken. Am ersten Wochenende feiern wir am Sonntag den Muttertag.

Mit einem Strauß Maiglöckchen und einer leckeren selbstgemachten Schokoladentorte genießen wir diesen Tag. Später werden wir mit einem Eis und

Sahne überrascht. Als krönenden Abschluss gehen wir gemeinsam ins Theater,

um die „Hochzeit des Figaro“ zu erleben. Es war ein gelungener Tag. Bei zunehmender Wärme werden die Badeanstalten geöffnet. Wir stillen unseren aufkommenden Hunger mit leckeren Grillwürsten. Bei den vorbeispazierenden hübschen Mädchen konnten die Männer die verführerischen Blicke nicht abwenden. Die Vatertags-Touren neigen sich dem Ende zu und die Männer gehen ins Gasthaus, um noch einen „Absacker“ zu trinken. Jetzt kurz vor dem bevorstehenden Sommer finden auch die Schützenfeste statt. Selbst die Campingplätze füllen sich mit Menschen. Für uns war es ein erlebnisreicher Monat!

Skypen mit ihren Lieben

Die Türen der Heimstätten schlossen Mitte März. Bewohnerinnen und Bewohner durften keinen Besuch von Angehörigen und Freunden bekommen. Das Bedauern und die Sorge umeinander wuchsen. Not macht erfinderisch. Es wurde telefoniert. Angehörige sprachen vor den Fenstern und Balkonen mit ihren Lieben. Oder schickten gute, alte Postkarten. Claudia Pritze, Assistentin der Bereichsleitung Senioren, kam auf die Idee, Skypen (Videotelefonie über das Internet) in den Heimstätten anzubieten. Jede Einrichtung bekam dann von der IT ein Tablet zur Verfügung gestellt. Fortan konnte über eine speziell für jede Heimstätte eingerichtete Skype-Adresse Kontakt aufgenommen werden. Diese wurde auf der Website bekannt gegeben und der Sozialdienst der jeweiligen Einrichtungen koordinierte die Termine. Schon konnte es losgehen.

Zunächst gab es verdutzte Gesichter, als manche der bisher internet-unerfahrenen Senioren ihre Lieben auf dem Tablet sahen und hörten. Da wurde schon einmal auf den Bildschirm gefasst oder dahinter nachgeschaut, wie das denn möglich sei. Oder der Skype-Anruf wurde als Foto wahrgenommen. Nach einer kurzen Eingewöhnungsphase fanden jedoch viele Nutzer Spaß an der Sache. Schon bald konnten die Betreuungskräfte, die die „Videobesuche“ der Angehörigen und Freunde begleiteten, die Senioren sich selbst überlassen. Zwischen 15 und 45 Minuten wurde in der Regel geskypt und die Begeisterung wuchs. Zwar konnte das Bild auf dem Tablet den realen Besuch nicht ersetzen, jedoch genoss man es, den anderen zu sehen und zu hören. Und es war ja auch möglich, dem Vater das frisch renovierte Zimmer zu zeigen, die bestellte und gerade eingetroffene Bluse der Mutter vorzuführen. Oder auch mal mit mehreren Familienangehörigen mit der Oma zu sprechen oder ein Geburtstagsständchen zu singen.

Mit der Lockerung der Besuchsregelung rückte auch das Skypen wieder in den Hintergrund. Die beste digitale Kommunikation ist halt doch eine Notlösung und nichts gegen die Möglichkeit, sich real zu sehen und zu hören. Und sich irgendwann auch mal wieder in die Arme nehmen zu dürfen. (Dorothea Salzmann-Schimkus)

Über 800 Atemschutzmasken

Mehr als 800 Atemschutzmasken wurden in liebevoller Handarbeit genäht und dem Sozialwerk gespendet. Diese Masken sind dringend nötig, um Mitarbeitende und die von uns betreuten Menschen vor dem Corona-Virus zu schützen. Inzwischen haben wir so viele Masken erhalten, dass wir sogar abgeben und z.B. das Bestattungsunternehmen GeBeIn unterstützen können. Bei so viel ehrenamtlichen Engagement sagen wir von Herzen: DANKE!

Die Freude hat gelitten

Interview mit der verantwortlichen Pflegefachkraft in der Tagespflege Grambke

Beate Rettig: Plötzlich Corona. Wie ging es euch damit, Elke?

Elke Jäckel: Die Einrichtungsleitung kam herein und sagte, wir müssten alle Tagesgäste nach Hause schicken. Wir haben uns dafür eingesetzt, dass wir noch gemeinsam Mittag essen konnten. Dann schloss die Tagespflege für dreieinhalb Monate.

Beate Rettig: Wie ging es den Tagesgästen damit?

Elke Jäckel: Nach drei Wochen riefen wir alle an. Da war die Stimmung noch ganz gut. Als wir nach nochmals drei Wochen wieder alle anriefen, kippte die Stimmung allmählich. Am 1. Juli öffneten wir wieder. Die Verfassung vieler Tagesgäste hatte sich verschlechtert. Einige hatten abgenommen, motorische Fähigkeiten hatten stark nachgelassen.

Beate Rettig: Wie kam das denn?

Elke Jäckel: Es ist die Summe aus vielen Kleinigkeiten. Wir fragen die Gäste, was sie essen wollen und sie müssen sich entscheiden. Sie schmieren ihr Brötchen selbst, tragen sich in Listen ein und holen sich ihre Jacken, wenn wir rausgehen. Zu Hause bewegen sie sich oft nicht mehr als nötig und die Angehörigen nehmen ihnen alles ab, was beschwerlich ist.

Beate Rettig: Und wie fühlt es sich nun an, mit Abstand und Hygienekonzept?

Elke Jäckel: Die Tagesgäste haben sich gut an die Regeln gewöhnt. Alle sind froh, dass sie wieder hier sein können. Und auch für die Angehörigen ist das natürlich eine große Entlastung. Aber die Freude hat sehr gelitten. Wir sitzen an Einzel-tischen und es ist oft sehr still. Und wie soll man mit Abstand Gesellschaftsspiele spielen? Wir haben immer sehr viel gesungen – das dürfen wir nun nicht mehr. Dabei ist Musik ganz wichtig.

Beate Rettig: Wie geht es euch als Mitarbeitende?

Elke Jäckel: Ich bin in Kurzarbeit gegangen, meine Teammitglieder wurden als Betreuungskräfte in der stationären Pflege eingesetzt. Das war für sie eine gute Erfahrung. Wir arbeiten nun in eingeschränkter Besetzung. Die Tagesgäste kommen nur zwei bzw. drei Tage pro Woche und werden von denselben Mitarbeitenden betreut, um die Infektionsgefahr zu verringern. Die Gemeinschaft im gesamten Team fehlt uns. Wir sind oft sehr erschöpft. Die ständige Vorsicht, die Umsetzung der Hygieneregeln und die angespannte Atmosphäre machen uns zu schaffen. Corona ist auch emotional sehr anstrengend.

Beate Rettig: Gibt es auch Positives an dieser Situation?

Elke Jäckel: Wir sind sehr froh, dass wir alle gesund sind und dass die Tagespflege wieder öffnen konnte.

Beate Rettig: Was wünschst du dir?

Elke Jäckel: Wir wären gern wieder als große Gruppe und ohne Abstand zusammen, würden gern wieder neue Tagesgäste aufnehmen und uns mit den Kindern aus dem Haus Zwergensee treffen. Und singen würden wir so gern wieder. Wir haben in der Tagespflege nur einen Computer. Wenn wir eine bessere Ausstattung und Unterstützung hätten, könnten wir mit den Kindern aus Haus Zwergensee skypen oder online Spiele spielen.

Das Interview führte Beate Rettig, Mitglied des Redaktionsteams der Zeitschrift “LebensRäume”.

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