Erfahrungsexperten
Auf dem weitläufigen, parkähnlichen Gelände des Klinikums Bremen-Ost finden sich am Nachmittag des. 7. Juli etwa zehn junge Fachärzte im Konferenzraum des Zentrums für psychosoziale Medizin ein. Es ist die erste Fortbildungsveranstaltung in Präsenz seit langer Zeit. Dementsprechend zurückhaltend und unsicher erscheinen alle Anwesenden. Der Impf- bzw. Test-Status wird abgefragt, die Kontaktdaten eingetragen, die Hygiene- und Abstandsregeln genauestens eingehalten.
Als alle ihren Platz gefunden haben, verteilen Beate Rettig und ihr Team Gebäck aus der ArBiS-Bäckerei an die jungen Ärzte, denen der hinter ihnen liegende Arbeitstag an diesem heißen Sommertag deutlich anzumerken ist.
Dann beginnt Oberarzt Dr. Dominik Dabbert seinen Vortrag über die Langzeitfolgen von Suchterkrankungen. Schwerpunktmäßig geht es um das Korsakow-Syndrom. Dieses nach dem russischen Psychiater und Neurologen Sergei Korsakow (1854–1900) benannte Krankheitsbild beschreibt einen hirnorganischen Abbau, das Betroffene fortschreitend lebensuntüchtig werden lässt. Das Korsakow-Syndrom ist eine Erkrankung des Gehirns, welche die Gedächtnisleistung stark vermindert: Betroffene wirken auf Außenstehende meist konfus und desorientiert und füllen auftretende Gedächtnislücken mit frei erfundenen Geschichten (Konfabulieren). Er betont, wie wichtig die richtige Diagnose in der Notaufnahme für das weitere Leben der betroffenen Personen ist und auch die Notwendigkeit, den fast immer bestehenden Vitamin B1-Mangel bei alkoholabhängigen Menschen zu beheben. Die langjährige gute Zusammenarbeit mit dem Sozialwerk hat so manch einem Betroffenen die Chance auf eine Rückkehr in ein abstinentes, menschenwürdiges Leben eröffnet. So gibt Dr. Dabbert seiner Wertschätzung Beate Rettig und dem Sozialwerk gegenüber Ausdruck.
Dann ist Beate Rettig mit ihrem Vortrag an der Reihe. Sie berichtet aus der Praxis. In den beiden Einrichtungen des Sozialwerks für chronisch mehrfach abhängigkeitserkrankte Menschen leben Alkohol- und mehrfach abhängige erwachsene Menschen und üben dort Leben neu ein. Die einfachsten alltäglichen Verrichtungen, gesunde regelmäßige Mahlzeiten und die Selbstfürsorge werden bei abstinenter Lebensweise erneut trainiert. Tagesstruktur innerhalb der Einrichtung, aber auch Beschäftigung in einer der Werkstätten der Tochtergesellschaft ArBiS Bremen helfen bei der Alltagsbewältigung.
Herr Schmidt (Name geändert), Bewohner der Einrichtung Haus Noah in Burg-Grambke, betritt den Raum und wird von Beate Rettig interviewt. Bereitwillig gibt er Auskunft: über seine Suchterkrankung, wie er mit der Gefahr des Rückfällig-Werdens umgeht, was ihm hilft und wie er sich mit Merkhilfen und selbstgebauten Hilfsmitteln in seinem neuen, abstinenten Leben zurechtfindet. Herr Schmidt geht bewusst mit seinen Einschränkungen um und ist so in der Lage, Techniken zu erlernen, die ihm helfen, im Alltag trotz seiner Einschränkungen zurechtzukommen.
Anschließend gibt es die Möglichkeit für die jungen Ärztinnen und Ärzte, Fragen an Herrn Schmidt zu stellen. Schnell wird klar: Er ist der eigentliche Experte in der Runde, denn er weiß durch Erfahrung, wie sich Sucht anfühlt und wie sie das Leben einschränkt und zerstört. Er hat einen Weg aus der Sucht heraus gefunden und gelernt, mit der lebenslang andauernden Anfälligkeit und den Einschränkungen umzugehen, die der jahrelange Alkoholmissbrauch mit sich gebracht hat.
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