Vergeben statt vergelten

Ein nebeliger Novembertag im Jahr 1945. Die Hofgemeinschaft des Hofes Capelle im Bremer Blockland verbringt einen ruhigen Abend in Gesellschaft mit Verwandten. Nachdem alle zu Bett gegangen sind, wird das Haus überfallen. Zehn bewaffnete, junge Männern überfallen den Hof und plündern, was sie finden können. Es sind polnische Zwangsarbeiter, die nach Kriegsende zwar frei, aber heimat- und perspektivlos in der Kaserne in Gröpelingen hausen. Sie selbst sind deportiert worden, haben Verwandte und Freunde durch grausame Gewalt verloren. Nun plündern sie den Hof und üben Vergeltung für das, was ihnen angetan worden ist. Sie treiben alle Menschen des Hofes Capelle in den Keller und erschießen sie – von den Kindern bis zu den Großeltern. Auch die beiden Angestellten werden nicht verschont. Einzig Wilhelm Hamelmann stellt sich tot und schleppt sich, nachdem die Täter abgezogen sind, schwerverletzt zum zwei Kilometer weit entfernten Nachbarhof, wo er Hilfe findet.

Bei der Trauerfeier für seine ums Leben gekommene Familie lässt der schwer verwundete Wilhelm Hamelmann folgende Worte verlesen:

„Als in der schaurigen Nacht die Tragödie ihren Höhepunkt erreicht hatte und ich, an Leib und Seele wund, das Totenhaus verließ, da war mein Herz dennoch erfüllt von einem Frieden, den allein mein Gott mir schenken konnte. Das mir von Gott geschenkte unbedingte Gottvertrauen, gegründet auf Christus, ermöglichte es mir, alles zu ertragen und zu überwinden. Im Andenken an meine lieben Angehörigen muss ich eins bekennen: Unser Haus war stets ein Haus der Liebe, wo die Niedrigsten geachtet wurden und den Ärmsten Hilfe ward. Das soll auch weiterhin meinem Leben Leitstern sein.“

Die jungen Polen werden bis auf einen gefasst und nach damals geltendem, amerikanischem Recht verurteilt. Ein Angeklagter wird zu 40 Jahren, drei weitere Angeklagte zu lebenslanger Haft verurteilt. Vier der Täter bekommen das Todesurteil und werden auf einem Bremer Schießplatz hingerichtet. Der entkommene, neunte Täter, wird später gefasst und ebenfalls zu lebenslanger Haft verurteilt. Wilhelm Hamelmann muss noch im Krankenhaus seine Mörder identifizieren. Er setzt sich beim Hauptstaatsanwalt dafür ein, milde Urteile zu fällen.

1967 erfährt Wilhelm Hamelmann, dass drei der verurteilten Polen noch immer hinter Gittern sitzen. Er besucht sie und bittet anschließend beim US-Botschafter um ihre Begnadigung. Persönlich holt er sie nach ihrer Freilassung ab und bringt sie an einem sicheren Ort unter.

Die Ausstellung „Versöhnung im Alleingang“ behandelt die Geschehnisse des 21. November 1945. Helmut Dachale hat seine Recherchen über die Opfer, die zu Tätern wurden, in der 14 Banner umfassenden Ausstellung aufgearbeitet. Diese wird am 13. Mai 2022 ab 13 Uhr für die Schüler*innen der Privatschule Mentor, ab 14.30 Uhr für die Öffentlichkeit gezeigt. Ergänzt durch eingesprochene Zitate aus dem Tatsachenbericht von Wilhelm und einem Raum, der zum Hören von Podcasts zum Thema einlädt, bietet die interaktive Ausstellung viel Stoff zum Nachdenken und Reflektieren. Im Schüler*innencafé gibt es die Gelegenheit zum Austausch. Im Foyer kann das Buch von Wilhelm Hamelmann und die Broschüre zur Ausstellung erworben werden.

Die Ausstellung findet im Rahmen des 60-jährigen Jubiläums der Privatschule Mentor statt und bietet die Gelegenheit der Auseinandersetzung mit der Geschichte des Standortes. Auf dem Gelände des ehemaligen „Camp Tirpitz“ befindet sich heute die Schule in freier Trägerschaft sowie Einrichtungen des Sozialwerks der Freien Christengemeinde für Senioren, Kinder und Jugendliche und psychisch beeinträchtigte Menschen.

Das Foto zeigt acht der neun Täter beim Prozess am 1. März 1946.
Foto: Photo Bors/Weser Kurier, K. Stockhaus/Weser Kurier, Privatbesitz/Kulturhaus Walle

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